Olaf Schmidt
Neue Arten – zwischen Verfremdung und Bereicherung – LWF aktuell 114

Die Globalisierung macht’s möglich. Kreuz und quer werden Tiere, Pflanzen und Pilze durch den weltweiten Handel aus ihren angestammten Regionen verschleppt und finden woanders neue Heimaten, wo sie sich meist unauffällig einfügen.

Werden die »Neubürger« entdeckt, dann heißt es für die verantwortlichen Behörden und Pflanzenschutzdienste: genaue Artdiagnose, umfassende Risikobewertung und ausführliche Einzelfallbeurteilung – ganz ohne Dogmatik und Panikmache.

Neobiota sind mit Blick auf Deutschland Tier-, Pflanzen- oder Pilzarten, die von Natur aus nicht in Deutschland vorkommen, sondern meist durch den Einfluss des Menschen beabsichtigt oder unbeabsichtigt zu uns gekommen sind. Dabei spielen der weltweite Handel und der überregionale Verkehr für die Einschleppung von Neobiota die überragende Rolle.

Wegen dieser große Bedeutung des transkontinentalen Handels hat man als »Stichtag« für die Einführung von Neobiota die Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 festgelegt. In Deutschland geht man von circa 3.000 Neobiota-Arten aus, davon gelten 319 Tierarten (Neozoen) als etabliert. Den größten Anteil haben hier mit 115 Arten die Insekten.

Ökologische Auswirkungen

Unbestritten ist, dass ein kleiner Teil der in Europa eingeschleppten oder eingewanderten Tierarten als Kulturpflanzenschädlinge oder als Träger von Krankheitserregern Schäden verursachen kann. Diese Probleme sollten aber nicht mit dem Deckmantel »Schutz der biologischen Vielfalt« versehen, sondern klar angesprochen werden.

Anhand von zwei Beispielen neu in Deutschland aufgetretener Käferarten, dem wärmeliebenden, aus Südeuropa stammenden Rüsselkäfer Curculio vicetinus und dem Asiatischen Laubholzbockkäfer Anoplophora glabripennis, wird dargestellt, dass Pauschalurteile über die »invasiven Neozoen« nie ganz richtig sind, sondern immer eine differenzierte Betrachtung notwendig ist.

Der 2,8–4,6 mm lange Rüsselkäfer Curculio vicetinus hat eine sehr spezielle Lebensweise. Er entwickelt sich nur in den von der Ahorngallwespe (Pediaspis aceris) verursachten Gallen an Bergahorn, die von der Erzwespe (Dichatomus acerinus) als »Mitbewohner« (Inquiline) befallen und verändert sind (Rheinheimer & Hassler 2013). Diese sehr spezielle Lebensweise mit ihrer ungewöhnlichen Vorbedingung und die damit verbundene Seltenheit schließen voraussichtlich ökologische und ökonomische Schäden weitgehend aus.

Wirtschaftliche Schäden

Asiatischer LaubholzbockkäferZoombild vorhanden

Abb.1: Der Asiatische Laubholzbockkäfer wird als neozoisches Insekt in der Forstwirtschaft zurecht kritisch beurteilt. (Foto: LWF)

Ökonomische Schäden sind dagegen bei Befall durch den Asiatischen Laubholzbockkäfer (Anoplophora glabripennis) (Abbildung 1) zu erwarten. Der Asiatischen Laubholzbockkäfer (ALB) wurde im Verpackungsholz für chinesische Granitsteine nach Braunau/Österreich eingeschleppt. In Deutschland wurde der Käfer erstmals 2004 in Niederbayern und 2005 bei Bonn nachgewiesen.

Unterdessen ist der ALB in Bayern seit 2012 an weiteren fünf Bereichen aufgetreten. Das Nahrungspflanzenspektrum dieses Käfers umfasst eine große Anzahl von Laubbäumen, bevorzugt Ahorn, Rosskastanie, Pappel, Birke und Weide. Langjähriger Befall schädigt Bäume physiologisch und kann zum Absterben führen. Die Larvengänge in Ästen erhöhen die Bruchgefahr und im Stamm entwerten sie das Holz. Wegen dieses Schadpotenzials ist der ALB in der EU als Quarantäneschadorganismus gelistet.

Artenarmut Mitteleuropas – eine Folge des geografischen Verhältnisse

Die geografischen Voraussetzungen sind in Mitteleuropa anders als in den klimatisch vergleichbaren Regionen Nordamerikas oder Ostasiens. In diesen Gebieten konnte sich eine größere Baumartenvielfalt erhalten als bei uns. So kommen im Osten Nordamerikas 18 Nadelbaum- und 106 Laubbaumarten vor, in Mitteleuropa dagegen nur acht Nadelbaum- und 45 Laubbaumarten.

Grund sind die in Europa meist in West-Ost-Richtung streichenden Hochgebirge, die in den Eiszeiten ein Ausweichen und in den Warmzeiten die Rückwanderung von Arten erschwerten. Diese Artenarmut der Natur geht aber mit einer hohen Resilienz der mitteleuropäischen Naturausstattung einher. Auch fordert das sehr abwechslungsreiche mitteleuropäische Klima (z. B. Spät- und Frühfröste, milde oder kalte Winter, verregnete oder trockene Sommer) eine hohe Anpassungsfähigkeit der Tier- und Pflanzenarten.

Europa ist ein Teil der riesigen euro-asiatischen Landmasse und unsere Natur ist durch diese Voraussetzungen und die früheren Eis- und Warmzeiten an ein Oszillieren der Artenzusammensetzung angepasst. Natürlich kann ein rasches Wachstum einer nicht heimischen Artenpopulation auf Kosten einheimischer Arten gehen, deren Ressourcen eingeschränkt werden (Nentwig et al. 2011).

Gleichzeitig ist aber festzustellen, dass das Argument »Neobiota sind für das Artensterben in Europa mitverantwortlich« zu undifferenziert ist und so nicht zutrifft. In seinem Buch »Die neuen Wilden« stellt Pearce (2016) fest, dass die Statistiken und Listen der Invasionsbiologen zur Beteiligung der Neobiota beim Artenschwund heimischer Arten nicht belastbar sind.
Daher stellen Neobiota in Mitteleuropa für den Natur- und Artenschutz ein im Vergleich zu den Bedrohungen wie Klimawandel, Eutrophierung, Versiegelung und Verbauung der Landschaft, Pestizideinsatz der modernen Landwirtschaft ein nachrangiges Problem dar.

Neozoen in Deutschland

Seit dem Jahr 1492 sind 319 Neozoen- Arten nach Deutschland eingeschleppt worden, die sich bei uns auch dauerhaft etabliert haben. Das entspricht einem Anteil am Gesamtartenbestand von unter einem Prozent. Wobei davon wiederum rund 60 Arten als invasiv gelten.

Im Folgenden werden einige Neozoen-Arten, vorrangig Insekten an Gehölzen, die sich im Laufe der Zeit bei uns etabliert haben, kurz vorgestellt und vor allem im Hinblick auf ein ökologisches Gefährdungspotenzial diskutiert.
Etablierter Neozoen an Gehölzen
ArtFraßpflanzeHerkunft
Rosskastanienminiermotte (Cameraria ohridella)AesculusBalkan
Lindenminiermotte (Phyllonorycter issikii)TiliaJapan
Platanenminiermotte (Phyllonorycter platani)PlatanusSüdeuropa
Japanischer Eichenseidenspinner (Antherea yamamai)Quercus, CastaneaOstasien
Buchsbaumzünsler (Diaphania perspectalis)BuxusOstasien
Efeuwickler (Clepsis dumicolana)HederaSüdeuropa
Amerikanischer Nutzholzborkenkäfer
(Gnathotrichus materiarius)
NadelbäumeNordamerika
Schwarzer Nutzholzborkenkäfer (Xylosandrus germanus)Laubbäume, NadelbäumeOstasien
Rüsselkäfer-Art (Curculio vicentinus)Acer pseudoplatanusSüdeuropa
Esskastanienbohrer (Curculio elephas)CastaneaSüdeuropa
Bockkäfer-Art (Parandra brunnea)Tilia, PopulusNordamerika
Asiatische Ulmenblattwespe (Aproceros leucopoda)UlmusOstasien
Esskastanien-Gallwespe (Dryocosmus kuriphilus)CastaneaOstasien
Mattschwarze Tannenrindenlaus (Cinara curvipes)AbiesNordamerika
Wollige Napfschildlaus (Pulvinaria regalis)Aesculus, Acer, TiliaAsien
Malven- oder Lindenwanze (Oxycarenus lavaterae)TiliaMittelmeergebiet
Marmorierte Baumwanze (Halyomorpha halys)Rubus, Vitis, Syringa, u.a.Ostasien
Platanen-Netzwanze (Corythucha ciliata)PlatanusNordamerika
Amerikanische Zapfenwanze (Leptoglossus occidentalis)Pinus, PseudotsugaNordamerika
Douglasien-Gallmücke (Contarinia pseudotsugae)PseudotsugaNordamerika
Südliche Eichenschrecke (Meconema meridionale)CarnivorSüdeuropa
Kirschessigfliege (Drosophila suzukii)Prunus, Vitis, MalusOstasien
Walnussfruchtfliege (Rhagoletis completa)JuglansNordamerika

Miniermotte

Schmetterlinge aus Ostasien

Borkenkäfer

Hautflügler (Hymenoptera)

Blattläuse

Wanzen

Gallmücken

Besipiel: Japanischer Eibenbockkäfer

Noch nicht etablierte Neozoen

Asiatischer Moschusbockkäfer Aromia bungiiZoombild vorhanden

Abb.7: In Südbayern wurden mehrere Asiatische Moschusbockkäfer gefunden. (Foto: LfL)

Weltweit sind gebietsfremde Arten in einem Tempo auf dem Vormarsch, wie es bislang nicht bekannt war. In den zurückliegenden 200 Jahren wurden 37 % aller Erstfunde zwischen 1970 und 2014 registriert (Seebens et al. 2017). Demzufolge finden tagtäglich ein bis zwei gebietsfremde Arten irgendwo auf der Welt eine neue Heimat. Und dieser Trend wird sogar immer stärker.

Besonders »kritische« Arten werden als Quarantäneschädlinge eingestuft. Für diese Arten ist ein Monitoring und ein Meldewesen eingerichtet. Vier neozoische Quarantäneschädlinge aus der Gruppe der Insekten, deren Etablierung verhindert werden soll, werden kurz vorgestellt.

Bei dem in Norditalien 1997 eingeschleppten Citrusbockkäfer (Anoplophora chinensis) CLB, der sich in der Nähe von Mailand auf einer Fläche von insgesamt 200 km² etabliert hat, hoffen wir noch, eine Einschleppung dieses Insektes nach Mitteleuropa zu verhindern.

In der EU ist die Art, wie auch der ALB, als Quarantäne-Schadorganismus eingestuft, für den Meldepflicht bei den Pflanzenschutzdiensten besteht. In verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten – auch in Deutschland – wurde wiederholt CLB mit Ursprung in importierten Bonsai oder Ahorn-Jungpflanzen festgestellt. Im Gegensatz zum ALB besiedelt der CLB vornehmlich die Wurzeln, den Stammanlauf und untere Stammteile. Sein Wirtspflanzenspektrum bei den Laubbaumarten ist noch breiter als das des ALB (Schröder 2010). Über den ALB wurde bereits weiter oben berichtet.

Auch der Asiatische Moschusbockkäfer (Aromia bungii, Abbildung 7) ist bisher in Deutschland noch nicht etabliert. Allerdings wurden 2011 und aktuell 2016 erwachsene Käfer in Kolbermoor und Rosenheim (Oberbayern) aufgefunden. Aromia bungii ähnelt dem heimischen Moschusbock (Aromia moschata), befällt aber vor allem Prunus-Arten (s. a. Schmidt, S. 24 in diesem Heft). Aus Sicht des Pflanzenschutzes liegen für Europa mehrere Risikoeinschätzungen für Aromia bungii von nationalen und internationalen Pflanzenschutzbehörden vor.

Wegen des ökonomischen Schadpotenzials ist der Asiatische Moschusbockkäfer seit 2014 von der European and Mediterranean Plant Protection Organization (EPPO) als Quarantäneorganismus gelistet. Der aus Nordamerika stammende Rundköpfiger Apfelbaumbohrer (Saperda candida) gehört dort zu den bedeutendsten Apfelschädlingen. 2008 wurde er erstmals auf der Insel Fehmarn in Europa festgestellt. Der Rundköpfige Apfelbaumbohrer würde überall in Deutschland gute Lebensbedingungen vorfinden und stellt daher eine Gefahr für heimische Obstbaumbestände und andere Gehölze aus der Gruppe der Rosengewächse dar (Baufeld et al. 2009).

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