Joachim Stiegler und Franz Binder
Strukturelemente und Wiederbewaldung im Hochgebirge - LWF-aktuell 110

Erkenntnisse aus Dauerbeobachtungen auf elf bayerischen Sturmwurfflächen

Die Stürme »Vivian« und »Wiebke« im Jahr 1990 verursachten in den Wäldern des bayerischen Hochgebirges enorme Schäden. Die LWF und die TU München haben daraufhin im Jahr 1991 auf Sturmwurfflächen im Hochgebirge elf Beobachtungsflächen angelegt und seitdem regelmäßig aufgenommen, um Erkenntnisse über die Verjüngungsprozesse zu gewinnen. In diesem Zusammenhang wurde auch festgehalten, welche Bedeutung Strukturelemente wie etwa Wurzelstöcke oder liegendes Holz für den Wiederbewaldungsprozess haben.

Nach jedem Sturmereignis im Hochgebirge stellt sich für den Waldbewirtschafter die Frage, ob er bei einer ungünstigen Ausgangssituation (schwierige Geländeverhältnisse, unzureichende Erschließung) Sturmholz auf der Fläche belassen oder die Fläche räumen soll. Im Jahr 1991 haben die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) und die Technische Universität München elf Beobachtungsflächen eingerichtet (Abbildung 2), um diese Thematik aufzugreifen. Zu diesem Zeitpunkt existierten für den bayerischen Alpenraum kaum Kenntnisse darüber, mit welchen Auswirkungen auf die Wiederbewaldung zu rechnen ist, wenn Sturmholz auf der Fläche liegen bleibt oder geräumt wird.

Von Fall zu Fall verschieden

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Abbildung 1: Kleinstandort »Baumstumpf« (Foto: Joachim Stiegler)

Die letzte Aufnahme fand im Jahr 2010 statt. Dabei wurde festgehalten, ob sich Verjüngungspflanzen in der Nähe oder auf Wurzelstöcken, Wurzeltellern oder liegenden Stämmen befinden. Ziel war, die Bedeutung dieser Strukturelemente auf den Wiederbewaldungsprozess zu analysieren. Die Beobachtungsflächen unterschieden sich hinsichtlich der Menge an liegendem Sturmholz deutlich (Abbildung 2). Der Anteil an liegendem Sturmholz auf den geräumten Flächen zwischen 95 und 138 m³ ist überraschend hoch und war so nicht erwartet worden.

Die Lage der Verjüngungspflanzen in Abhängigkeit der untersuchten Strukturelemente ist in Abbildung 3 dargestellt. Über alle Flächen hinweg etablierten sich im Schnitt etwa 50 % (flächengewichtet) der Verjüngungspflanzen auf Kleinstandorten ohne Strukturmerkmal. Auch gilt der Grundsatz, dass mit zunehmender Sturmwurfholzmenge das Merkmal »liegendes Holz« an Bedeutung gewinnt. Dies ist allerdings kein überraschendes Ergebnis, sondern war vorhersehbar. Zwischen den Beobachtungsflächen sind jedoch deutliche Unterschiede erkennbar.

Tabelle mit vier Spalten und elf Zeilen, die von links nach rechts gelesen werden. Hier sind die Daten der elf Versuchsflächen aufgelistet.

Abbildung 2: Beschreibung der Versuchsflächen – eine ausführliche Beschreibung siehe Stiegler 2016

Graswang

Balkendiagramm elf mit verschiedenfarbigen Balken zu Verjüngungspflanzen und ihren Merkmalen.Zoombild vorhanden

Abbildung 3: Anteil der Verjüngungspflanzen

Auf den Flächen GR-1, GR-2 und GR-3 lag der Anteil an Pflanzen »ohne Strukturmerkmal « zwischen knapp 30 % und etwa 50 % (Abbildung 3). Die hohe Grundfläche von 55 m2/ha weist die Fläche GR-1 als vergleichsweise ungestört aus. Daraus resultiert ein hoher Anteil an Pflanzen mit dem Merkmal ›Wurzelstock / stehende (abgestorbene) Bäume im Umkreis von 50 cm‹ in Höhe von etwa 15 %.

Wurzelstöcke und liegendes Holz wurden auf allen drei Flächen nur von wenigen Pflanzen besiedelt. Das Holz war auch nach 20 Jahren aufgrund des Zersetzungsgrades noch nicht »attraktiv« genug für die Verjüngung, um sich auf dieser Unterlage etablieren und entwickeln zu können.

Bad Hindelang

Die Versuchsflächen HI-1 und HI-2 (Abbildung 5) unterschieden sich hinsichtlich der Menge an liegendem Sturmholz. Auf der nicht geräumten Fläche HI-1 spielten die Strukturelemente Wurzelstock und Wurzelteller im Vergleich zur Fläche HI-2 anteilsmäßig kaum eine Rolle. Die geräumten Flächen HI-3 und HI-4 wiesen mit jeweils über 75 % die höchsten Anteile aller Beobachtungsflächen an Pflanzen »ohne Merkmal« auf.

Hohenschwangau

Auf den zueinander nahegelegenen nordexponierten Flächen HO-1 und HO-2 mit großen Totholzmengen (Abbildung 2) lag der Anteil an Pflanzen im Umkreis von liegendem Holz unter 30 %, Damit unterscheiden sich diese zwei Flächen deutlich von der Fläche HI-1, die vergleichbar hohe Sturmholzmengen aufweist. Die Unterschiede sind mit den vorliegenden Daten nicht zu erklären. Auffällig ist ein Anteil von knapp 10 % an Pflanzen auf der Fläche HO-2, die sich auf Wurzelstöcken ansiedelten. Ursache hierfür dürfte der vergleichsweise etwas weiter fortgeschrittene Zersetzungsgrad des Holzes aufgrund der nordexponierten Lage sein.

Die südexponierten Flächen HO-3 und HO-4 unterscheiden sich hinsichtlich der Etablierung von Verjüngung in Abhängigkeit einzelner Merkmale deutlich von den übrigen Flächen, auf beiden Flächen spielen Wurzelteller eine wichtige Rolle, auf Fläche HO-4 nimmt das Lagemerkmale »auf Wurzeltellern« sogar einen Anteil von über 60 % ein.

Jede Fläche ist anders

Die Ergebnisse aller elf Flächen zeigen, dass aufgrund der erhobenen Daten keine allgemeingültige Regel aufgestellt werden kann, die für die Verteilung der Verjüngungspflanzen auf einer Sturmwurffläche angewandt werden könnte. Jede Fläche stellt, für sich genommen, einen Einzelfall dar.

Schutzwirkung von Strukturelementen

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Abbildung 4: Auswirkungen eines Windwurfereignisses;
Quelle: Stiegler und Binder (2014), verändert nach BAFU (2008)

Grundsätzlich erhöhen Strukturelemente die Bodenrauigkeit und liefern daher einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Schneedecke und zur Etablierung von Naturverjüngung im Gebirge. Die Untersuchungen auf unseren Flächen haben allerdings gezeigt, dass die Masse an liegendem Holz nicht ausschlaggebend für das Ankommen und die Etablierung ist (Stiegler 2016). Anscheinend bewirken Wurzelteller und -stöcke schon einen ausreichenden Schutz vor Schneebewegungen in den ersten zwei Jahrzehnten nach Sturmwurf.

Die Schutzwirkung des liegenden Holzes vor Schneebewegungen hängt ganz wesentlich von der räumlichen Anordnung der Stämme ab. Nur querliegende Stämme können den Schnee effektiv bremsen (FSWM 2007). Die hohe Bodenrauigkeit durch Wurzelteller, Baumstümpfe und hohe Wurzelstöcke lässt den Schluss zu, dass das Liegenlassen von Sturmholz zum Schutz vor Schneebewegungen und Förderung der Naturverjüngung nicht zwangsläufig notwendig ist. Dies ist aber letztendlich von der Einzelsituation abhängig.
Luftbild von einem Waldstück mit Wiese und Hütte.Zoombild vorhanden

Abbildung 5: Orthofoto der Versuchsflächen
HI-1 und HI-2; Quelle: Landesamt für Vermessung
und Geoinformation (LVG)

Die Entscheidung Räumen der Fläche oder Belassen des Sturmwurfholzes wirkt sich auch unmittelbar auf die Schutzfunktion im Hinblick auf Naturgefahren aus.

Vor dem Sturmereignis bietet ein intakter Schutzwald einen ausreichend hohen Schutz gegenüber Naturgefahren, der Folgebestand kann diese Aufgabe unmittelbar nach dem Sturmwurf nur unzureichend (bei gesicherter Vorausverjüngung) bzw. überhaupt nicht (bei fehlender Vorausverjüngung) erfüllen (Abbildung 4).

Erst im Laufe der Zeit wachsen die Bäume wieder zu einem schutzwirksamen Wald heran. Bis dahin leisten liegendes Holz, Wurzelteller und Baumstümpfe einen wichtigen Beitrag, Naturgefahren abzuhalten (Lässig und Schönenberger 2002).

Strukturelemente als Kleinstandort

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Abbildung 6: Moderholzverjüngung (Foto: Alfred Wörle)

Strukturelemente wirken sich – aufgrund der eigenen Wärmeabstrahlung – förderlich für das Ausapern der Flächen aus (Frey et al. 2002). Dies ist vor allem in höheren Lagen für das Ankommen und die Etablierung von Keimlingen und das Wachstum der Jungbäume von Vorteil. Diese Strukturelemente absorbieren im Frühjahr die Sonnenwärme, der umliegende Bereich apert früher aus und begünstigt das Anwachsen junger Bäume (Jehl 1995). Dies kann zum Teil auch auf den untersuchten Beobachtungsflächen festgestellt werden.

Strukturelemente können unter bestimmten Voraussetzungen auch als Keimbett für die Verjüngung dienen. In der Literatur wird die Bedeutung des Moderholzes vor allem für vergraste Fichtenbestände in Hochgebirgslagen herausgestellt und dessen großer Anteil an der Walderneuerung betont (Mayer und Ott 1991; Stöckli 1995). Auf den Untersuchungsflächen wurde Moderholzverjüngung äußerst selten beobachtet (Abbildung 6), der Vermoderungszustand der liegenden Stämme scheint nach circa 20 Jahren noch nicht für eine Besiedelung mit Verjüngungspflanzen auszureichen.

Zusammenfassung

Eine Aufarbeitung und Räumung des Sturmholzes und damit Entfernen von Strukturmerkmalen von der Fläche erscheint auch im Gebirge – falls wirtschaftlich – sinnvoll. Eine Beeinträchtigung auf die Wiederbewaldung konnte aus unseren Beobachtungen nicht abgeleitet werden, allerdings blieb auf den geräumten Beobachtungflächen ein verhältnismäßig hoher »Sturmwurfholzvorrat« liegen. Wurzelteller und Wurzelstöcke schaffen ausreichend Bodenrauigkeit und schützen damit die Verjüngung vor Schneebewegungen.

Eine eindeutige Präferenz für ein Strukturmerkmal ist im Vergleich aller Beobachtungsflächen nicht eindeutig ableitbar. Sollte sich der Bewirtschafter für das Liegenlassen des Sturmwurfholzes entscheiden, muss sichergestellt werden, dass von liegengelassenem Fichtenholz keine Gefahr für Borkenkäferbefall in benachbarten Beständen ausgeht.

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