Redaktion LWF Wissen
Der Brotbaum der Bergbauern - LWF-Wissen 81
 
  	 Im 6. Jahrhundert n. Chr. wurde die Kastanie in den südlichen Teilen der Schweiz die Hauptnahrungsquelle der heimischen Bevölkerung. Sie verdrängte sogar den Getreide- und zum Teil auch den Weinanbau (Zoller 1961). 
Vor Einführung der Kartoffel und vor den technischen Fortschritten in der Landwirtschaft wurden auf den mageren Seitenhängen der Alpen mit der Kastanie zwei- bis dreimal mehr Kalorien produziert als mit dem Getreideanbau (Pitte 1986). 
 
  	
  	Vorteilhaft waren  auch die gute Haltbarkeit der Früchte und die späte  Blüte Ende Juni, was die Kastanie vor Spätfrostschäden  schützte. Die Kastanien boten somit eine sichere  Ernte und waren deshalb geschätzt. Die Menschen in den Alpentälern ernährten sich so  vier bis sechs Monaten im Jahr fast ausschließlich von  Kastanien. Während der Wintermonate wurden täglich  zwei bis drei Kastanienmahlzeiten aufgetischt. Der Bedarf  war für damalige Verhältnisse schon beachtlich.  
Als Faustregel galt: »Ein Baum pro Kopf«. Das ergab  einen Jahresbedarf von bis zu 200 Kilogramm pro Person.  In Zeiten der Hungersnot galten die Früchte als  »Lebensretter« für die Bergbevölkerung (Merz 1919).  Aus diesem Grund nannte man die Kastanie auch  »Brotbaum« oder »Holzbrot« (Bruneton-Governatori 1984).    
 
  	
  	Je nach Verwendungszweck wurden spezifische Sorten  selektioniert: Spätreifende Sorten, die in ihrer geschlossenen  Hülle reifen, wurden zur Ernte frühzeitig  mit Holzstangen vom Baum geschlagen. Anschließend wurden die geschlossenen Fruchthüllen zu Gärhaufen  aufgesetzt und mit Stroh, Farnkraut oder Reisig abgedeckt  (Käser 1932). Unter Sauerstoffmangel setzte der  Gärprozess ein, welcher die Haltbarkeit der Früchte  bis zum nächsten Frühling verlängerte (Giacalone und  Bounous 1993). Dies hatte den Vorteil, dass die frischen  Früchte länger konserviert blieben, aber gleichzeitig  die unproduktiven Feinäste abgeschlagen wurden  (Bruneton-Governatori 1984). Um die Kastanien bis im  darauffolgenden Herbst genießbar zu halten, gab es  Sorten, die man in speziellen Dörrhäuschen 18 bis 24  Tage gedörrt und noch warm geschält hat. Aus einem  Teil der gedörrten Kastanien – meist aus kleinen oder  gebrochenen Früchten – wurde Mehl hergestellt.        
 
  	
  	Die Früchte der Esskastanie sättigen aufgrund ihres  hohen Stärkeanteils nicht nur gut, sie liefern zudem  viele Vitalstoffe. Dabei ist ihr Fettanteil relativ gering  – und sie sind glutenfrei. »Geröstete Maroni« dürfen  heute auf keinem Weihnachtsmarkt fehlen. Kastanien  können darüber hinaus aber noch auf vielfältige Weise  verwendet werden. Aus dem Mehl lässt sich köstliches  Brot backen, sie lassen sich zu leckeren Suppen verarbeiten,  passen in Salate und auf Pizzen, und sie sind  eine köstliche Beilage für Wildgerichte. Nicht zu vergessen  ist das süße Maronen-Püree zum Kaffee oder als feines Dessert zum Abschluss eines Menüs.    
Galt die Kastanie früher als Brot der armen Leute, so  ist sie heute vor allem bei Allergikern, gesundheitsbewussten  Menschen und Selbstversorgern sehr beliebt.      
 
  		            
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