Interview mit Johannes Bradtka und Michaela Domeyer
Habichtskauz im Anflug – LWF aktuell 128

Naturschutzprojekt will ausgerotteten Habichtskauz wieder in Nordostbayern ansiedeln

"Geduld, Glück und Geld braucht es, um einer bei uns ausgestorbenen Art eine neue Chance zu geben", meint Johannes Bradtka. Diese Voraussetzungen sind im Nationalpark Bayerischer Wald, in dem bereits seit Jahren der Habichtskauz wiederangesiedelt ist, eher gegeben als woanders. In der nördlichen Oberpfalz und im östlichen Oberfranken wird die Geschichte zur Wiederansiedlung des Habichtskauzes neben Geduld, Glück und Geld nun seit einigen Jahren durch das Engagement begeisterter Ortskenner wie Michaela Domeyer und Johannes Bradtka weitergeschrieben.

Ein Kauz fliegt durch den WaldZoombild vorhanden

Abb. 1: Wann wird er wieder regelmäßig in den Wäldern des Fichtelgebirges und des Steinwaldes auf Mäusejagd gehen? (Foto: Berndt Fischer)

LWF: Die mitunter wenig naturnahe Waldbewirtschaftung der Vergangenheit wird als eine der Ursachen genannt, die zur Ausrottung des Habichtskauzes im vorigen Jahrhundert geführt haben. Was hat sich seither verändert, dass Sie die Auswilderung erfolgreich voranbringen?
Domeyer: Kahlschläge und Monokulturen haben nicht allein zur Ausrottung geführt. Ganz wesentlich war die Bejagung des Vogels. Er ist verfolgt worden, weil er sich auch in Siedlungsnähe aufgehalten hat und ihm unterstellt wurde, dass er Hühner jagt. Auch Aberglaube wurde ihm zum Verhängnis. Die Eulen waren von jeher wegen ihres flachen Gesichtes den Menschen unheimlich.

Die Bewirtschaftung ist im Laufe der Zeit naturnäher geworden: Es bleibt mehr starkes, stehendes Totholz im Wald, der Strukturreichtum steigt und Nistmöglichkeiten wie Halbhöhlen in morschen Hochstümpfen können entstehen. Daneben brütet er auch in verlassenen Greifvogelhorsten. Der Lebensraum und die Nahrungsverfügbarkeit haben sich ganz wesentlich verbessert.

Bradtka: Ein weiterer Aspekt ist auch, dass sich die Ausbildung der Förster geändert hat, wodurch sich deren Blickwinkel für Belange des Natur- und Artenschutzes erweitert hat.
LWF: Seit wann gibt es das Wiederansiedelungsprojekt in Ihrer Gegend?
Domeyer: Die Vorbereitungen haben 2015 mit einer Lebensraumanalyse begonnen, 2016 haben wir die behördlichen Genehmigungen bekommen. Und 2017 haben wir die ersten Habichtskäuze ausgewildert, nachdem wir uns ein Netzwerk zu Stellen geschaffen haben, die Tiere abgeben.
Zwei flauschige, junge Habichtskäuze sitzen in einer VoliereZoombild vorhanden

Abb. 2: Zwei junge Habichtskäuze in einer Auswilderungsvoliere (Foto: Jörg Beckmann)

LWF: Warum wurde gerade der Habichtskauz für ein solches Projekt gewählt?
Bradtka: Mein erstes Erlebnis mit dem Habichtskauz war in meiner Studienzeit eine Attacke der großen Eule im Bayerischen Wald, deren Brutbaum ich zu nahe gekommen war. Seitdem hat mich dieser Vogel begeistert. Viele Jahre später haben wir uns – als anerkannter Naturschutzverband – dem Erhalt und der Wiederansiedlung dieser seltenen Tierart als Leitart für eine naturnahe Waldbewirtschaftung angenommen. Er ist die größte und seltenste ausschließlich im Wald lebende Eulenart Europas.

Domeyer: Bis in die ´90er Jahre hinein gab es noch Rufnachweise, daher lag es nahe, diese typische Waldart wiederanzusiedeln. Auch weil sie Sympathieträger ist und weil von ihr kein Schaden oder Konfliktpotenzial zu erwarten ist. Die Nahrung besteht zu 90 Prozent aus Mäusen, da hat keiner was einzuwenden. Akzeptanz ist bei einem solchen Projekt ganz wichtig.
LWF: Welche Voraussetzungen waren in den Wäldern in Nordostbayern günstig für das Projekt?
Domeyer: Das Gebiet ist historisches Verbreitungsgebiet, ähnlich dem Bayerischen Wald. Wir haben zusammenhängende unzerschnittene Waldgebiete mit extensiven Waldwiesen und naturnahe Landschaften mit Bächen, die zum Teil als FFH-Gebiete ausgewiesen sind. Bewirtschaftet werden die Wälder von den BaySF-Forstbetrieben Waldsassen, Schnaittenbach, Fichtelberg, Selb und Flossenbürg sowie von Kommunen und Forstbetrieben des Großprivatwaldes. Zu allen Bewirtschaftern besteht ein gutes Verhältnis, bei der BaySF haben wir mit unserem Anliegen damals offene Türen eingerannt. Wir haben uns im Vorfeld mit den Grundbesitzern abgesprochen.
Eine Frau steht in einer Voliere und hat einen Kauz in den HändenZoombild vorhanden

Abb. 3: Michaela Domeyer leitet seit Projektbeginn das Auswilderungsprojekt. (Foto: J. Bratka)

LWF: Der Habichtskauz ist im wissenschaftlichen Namen Strix uralensis nach seiner Herkunft Ural benannt. Eine natürliche Zuwanderung von dort wird es so leicht nicht geben. Von woher kommen die Käuze, die Sie in die freie Wildbahn entlassen?
Bradtka: Wir liegen hier an der westlichen Arealgrenze. Die Art ist sehr ausbreitungsschwach, Experten sehen eine mögliche Wiederbesiedlung nur in Zeiträumen von Jahrhunderten. Wir kennen keine Vogel- bzw. Eulenart, die so »faul« ist wie er. Seine Ausbreitung geht nur in wenigen Kilometern vonstatten. Allein mit dem Aufhängen von Nistkästen hätten wir nichts erreicht.

Die Tiere kommen aus Zoos, Wildgehegen aus Deutschland und zwischenzeitlich auch aus Frankreich, ebenso wie aus dem Nationalpark Bayerischer Wald. Die Erfahrungen, die dort gemacht wurden, sind uns eine wertvolle Unterstützung. Unsere Projektpartner liefern mit der Nachzucht von seltenen und vom Aussterben bedrohten Tierarten einen wichtigen Beitrag für den Artenschutz und geben daher ihre Jungtiere gerne an uns ab.
Ein Kauz sitzt auf einem BuchenastZoombild vorhanden

Abb. 4: Der Habichtskauz wird etwa 60 cm groß und erreicht eine Flügelspannweite von 125 cm (Foto: Berndt Fischer)

LWF: Wie können wir uns die Auswilderung vorstellen?
Domeyer: Im Frühjahr erkundigen wir uns bei unseren abgebenden Partnern nach dem Balz- und Brutgeschehen und was für die Nachzucht zu erwarten ist. Nach dem Schlupf und nach dem Verlassen der Nistkästen stellt sich heraus, mit wie vielen Tieren wir rechnen können und wann wir uns auf die Tiere einstellen sollen. In einem Alter von 60 bis 70 Tagen bringen uns die Zoos die Ästlinge oder wir holen sie ab und bringen sie dann in die Volieren im Wald. In den Volieren sollen sich die Vögel an das Waldklima und den Standort gewöhnen, vom Menschen entwöhnt und wieder scheu werden.
Die Fütterung findet einmal täglich abends statt, aber ohne Sichtkontakt zu uns. Die Voliere ist mit Ästen verschiedener Stärken ausgestattet, damit die Fänge für das Beutegreifen trainiert werden können. Durch häufiges Starten wird die Brustmuskulatur gestärkt und mit der Zeit lernen die Vögel dann das Fliegen. Zum Kennenlernen hängt auch ein Nistkasten in den Volieren. Die Tiere bleiben rund vier Wochen in der Voliere, bis sie in der Lage sind, selbständig Mäuse zu fangen. Wir haben drei Volieren für jeweils mehrere Jungtiere.

Bradtka: Vor der Freilassung werden die Tiere veterinärmedizinisch untersucht, ob sie fit für die Freiheit sind. Für die Haltung mussten wir einen Sachverständigen benennen und wir selber brauchen einen Sachkundenachweis. Trotz aller Maßnahmen bleibt es eine emotional hoch spannende, nervenzehrende Zeit. Wir empfinden eine hohe Verantwortung gegenüber den Tieren und gegenüber unseren Sponsoren und Mitwirkenden.

Domeyer: Dann kommt der spannende Moment, wenn eines Tages in der Dämmerung die Luke aufgeht. Manch einer fliegt dann gleich raus, bei anderen dauert es bis zu zwei Stunden. Wenn dann alle gut rausgekommen sind, atmen wir erstmal durch.
LWF: Welche Ziele verfolgen Sie mit der Wiederansiedlung und was bedeutet dies für die Biodiversität in den Wäldern?
Bradtka: Die Analyse hat ergeben, dass es keinerlei negative Auswirkungen bei der Ansiedlung gibt. Vielmehr entsteht durch die spezifische Habitatausstattung eine Vielfalt, die andere Arten nutzen können. Ganz augenscheinlich wird dies bei den Nistkästen, die wir für den Habichtskauz aufgehängt haben: Diese nutzt jetzt vermehrt der Waldkauz. Wir sind da im Austausch mit Naturschutzbehörden und anderen Experten.
Ein weißhaariger Mann mit kurzem Bart schaut in die Kamera für das PortraitZoombild vorhanden

Abb. 5: Johannes Bradtka ist Förster am AELF Tirschenreuth und Vorsitzender des VLAB (Foto: Melanie Cabello Alfaro)

LWF: Welchen Gefahren sind die Vögel in der freien Wildbahn ausgesetzt?
Domeyer: Der Habichtskauz hat in den ersten zwei Jahren eine hohe Mortalität. Daher sind gute Mäusejahre eine gute Voraussetzung für das Überleben der Jungtiere. Der größte Feind ist der Uhu, der aber bei uns im Gebiet nicht vorkommt. Für Jungtiere in freier Wildbahn werden Fuchs und Marder oder der Habicht gefährlich, da die kleinen Eulen sich auch am Boden aufhalten und von dort auf die Bäume klettern. Die größte Gefahr für unsere Tiere ist aber der Straßenverkehr. Da haben wir leider auch schon einen Totfund gehabt. Die Käuze finden am Straßenrand Beute, sind aber beim Auffliegen so schwerfällig, dass sie nicht schnell genug Höhe gewinnen können.
LWF: Was muss noch getan werden, damit sich die Tiere dauerhaft etablieren und sogar weiter verbreiten?
Bradtka: Die Schätzungen für den Bestand im Bayerischen Wald und dem angrenzenden Šumava Nationalpark gehen von 30 bis 60 Paaren aus. Es ist die einzige Population in Deutschland. Die nächsten kleinen Populationen gibt es in der Slowakei, in Österreich und in den Bergwäldern des ehemaligen Jugoslawien.
Vier Männer hängen in einem Buchenwald einen Nistkasten auf

Abb. 6: Das Aufhängen von Nistkästen ist eine aufwändige Angelegenheit. Insgesamt wurden 170 Nistkästen ausgebracht. (Foto: M. Hertel)

LWF: Wie können Sie das Leben der Tiere in der freien Natur weiterverfolgen?
Domeyer: Wir bieten den Tieren weiterhin über einen Futtertisch nahe der Voliere Futter an und beobachten die Annahme über Kameras zumindest so lange, bis die Tiere mit circa sechs Monaten selbstständig geworden sind und sich von der Umgebung der Voliere lösen.

Für die Nachverfolgung bekommen wir immer wieder Sichtmeldungen oder auch Handy-Fotos von Förstern, Jägern und Waldbesuchern. Daneben verhören wir in einem akustischen Monitoring die Rufe im Herbst zur Revierbalz und im Frühjahr zur richtigen Balz. Und wir kontrollieren die Nistkästen.

Jedes Tier von uns ist beringt, ab nächstem Jahr wollen wir die Jungtiere auch besendern. Dazu arbeiten wir gerade einen Tierversuchsantrag aus und stellen die dafür notwendigen Experten zusammen. Wir erhoffen uns davon wichtige Informationen zur Ausbreitungstendenz. Künftig wollen wir auch ein sogenanntes Hygienemonitoring machen, das mit Federn und Kotproben die genetische Ausstattung der Individuen miteinbezieht. In Verbindung mit den Ergebnissen aus der Telemetrie erhoffen wir uns wichtige Aussagen zur saisonalen Raumnutzung der Vögel und wollen daraus gezielt zusammen mit den Grundeigentümern die Habitate verbessern. Wir wollen als Quintessenz einen Leitfaden für Wiederansiedlungsprojekte erstellen und Naturschutzstandards zum Schutz von Eulen im Wald erarbeiten.
LWF: Die Eulen sind scheu und nachtaktiv. Besteht dennoch die Chance, einen Habichtskauz zu Gesicht zu bekommen?
Domeyer: Der Habichtskauz ist eine Eulenart, die gar nicht mal so scheu ist und auch wegen seiner Größe schnell auffällt. Er hat eine geringe Fluchtdistanz; er lässt Menschen teilweise 20 bis 30 Meter an sich herankommen. Er ist groß und schwerfällig, es dauert ein wenig bis er wegfliegt und gelegentlich hält er sich auch in Siedlungsnähe auf. Dennoch ist er natürlich nicht leicht zu Gesicht zu bekommen. Einen guten Eindruck gibt ein kurzer Filmbeitrag vom Bayerischen Fernsehen wieder. (Link zum Film: s.u.)
Ein Mann und eine Frau stehen in einer Voliere und haben einen Kauz auf dem ArmZoombild vorhanden

Abb. 7: Johannes Bradtka und Michaela Domeyer mit einem jungen Habichtskauz (Foto: J. Frisch)

LWF: Sie selbst, Herr Bradtka, sind Förster am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Tirschenreuth und Vorsitzender eines Naturschutzvereins. Wie stemmen Sie solch ein Projekt?
Bradtka: Die Hauptarbeit macht Michaela Domeyer als hauptamtliche Projektleiterin im Verein. Daneben haben wir noch viele ehrenamtliche Mitstreiter. Die Brutkästen werden von einer oberfränkischen Behinderteneinrichtung oder zu Ausbildungszwecken mit den Azubis der BaySF gebaut. Meine Kollegen der Forstverwaltung leisten einen wertvollen Beitrag mit der Ausweisung von Biotopbäumen durch das Vertragsnaturschutzprogramm. Vieles geht da Hand in Hand. Dennoch braucht man einen langen Atem. Wir Förster denken in langen Zeiträumen, das kommt uns entgegen. Artenschutz ist Nächstenliebe – die Liebe zur nächsten Generation. Aus dieser Einstellung heraus speise ich mein Engagement.
LWF: Vielen Dank für das interessante Gespräch und weiterhin viel Erfolg und Freude bei Ihrer Arbeit.


Das Interview führte Beatrix Enzenbach, Abteilung Biodiversität, Naturschutz und Jagd

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