Interview mit Prof. Dr. Michael Suda und Dr. Günter Dobler
Die Macht der Worte - LWF-aktuell 110

Wie Erzählstrukturen den Umgang mit Wald als richtig oder falsch erscheinen lassen.

Wenn zwei sich streiten, dann freut sich ein Dritter. In unserem Fall Kommunikationswissenschaftler, die genau wissen wollten, wie Auseinandersetzungen über den Wald in der Öffentlichkeit geführt werden.

Mehrere ältere Personen halten ein grün-weißes Transparent mit der blauen Aufschrift "Nationalpark Steigerwald - die Chance für unsere Region" hoch.Zoombild vorhanden

Abbildung 1: Bürgerinitiative Steigerwald (Foto: BUND; B. Klumpp)

Michael Mößnang: Das Projekt, das Sie bearbeitet haben, nennt sich: »Analyse waldrelevanter Diskurse und Ableitung von Kommunikationsempfehlungen«. Was verbirgt sich hinter diesem Titel?
Michael Suda:
Wir haben uns Fälle angeschaut, in denen öffentlich über den richtigen Umgang mit Wald gestritten wird. Ein Diskurs ist dabei die Darstellung, die jeweils eine der Streitparteien vertritt. Wir haben festgestellt, dass sich die Struktur der Darstellungen mit Modellen beschreiben lässt, wie sie für Erzählungen existieren.
Ein öffentlicher Diskurs ist damit eine Art Geschichte, die aus Phänomenen in der Wirklichkeit erzählerisch einen Sachverhalt gestaltet, der sie in einem bestimmten Licht erscheinen lässt und dadurch Macht entfaltet.
Es geht aber doch nicht um Märchen und Legenden?
Günter Dobler:
Nein, natürlich nicht. Jede Seite behauptet, dass ihr Diskurs der Wahrheit entspricht und nicht etwa frei erfunden sei. Allerdings wird der widersprechende Diskurs von dessen Gegnern durchaus als einseitig, verzerrend oder verfälschend bezeichnet.
Holzpfosten mit SchildZoombild vorhanden

Abbildung 2: Stadtwald (Foto: S. Kerpf, Stadt Augsburg)

Ging es dann darum, festzustellen, wer Recht hat? Also welche Darstellungen wahrheitsgetreuer sind als andere?
Günter Dobler:
Genau diese Frage haben wir ausgeklammert. Wenn wir eine Aussage darüber treffen würden, dann würden wir uns in die Reihe der Vertreter des entsprechenden Diskurses einreihen.

Michael Suda:
Wenn in einem Diskurs ein anderer angegriffen wird, so befinden sich beide auf einer Ebene. Für die Analyse müssen wir uns aber außerhalb stellen, um neutral Wechselbeziehungen und Widersprüche zwischen beiden erfassen zu können.

Günter Dobler:
Unsere Forschungsperspektive galt der Art und Weise, wie eine Sache präsentiert wird. Wir wollten wissen, wie eine Darstellung aufgebaut ist, damit sie plausibel und überzeugend erscheint.

Michael Suda:
Das kann man als Grundsatz festhalten. Es reicht nicht aus, aus der eigenen Sichtweise heraus die Wahrheit zu sagen. Man muss sie so sagen, dass sie denen als wahr einleuchtet, die sie noch nicht kennen. Wahrheit allein ist also nicht genug, sie muss plausibel klingen, um als Wahrheit überzeugen zu können.
Ein Mann und eine Frau knien im Winter vor einem jungen Laubwald und halten ein Schild in die Kamera.Zoombild vorhanden

Abbildung 3: Stadwald (Foto: S. Kerpf, Stadt Augsburg)

Wie sehen denn diese überzeugenden Darstellungsstrukturen aus?
Günter Dobler:
Wichtig ist, einen Kontrast zwischen einem negativen und einem positiven Zustand herzustellen.
Jede Seite hat ja ein Anliegen und möchte, dass andere dieses wahrnehmen, diesem zustimmen bzw. sich dafür einsetzen oder danach handeln.

Also muss ihr Anliegen in den Augen des Publikums einen negativen Zustand in einen positiven überführen oder aber verhindern, dass ein positiver Zustand sich verschlechtert.
Frau mit grüner Jacke hält gelb-grünes rundes Transparent mit der Schrift "Buchenwälder statt Industrieforste" hoch.Zoombild vorhanden

Abbildung 4: Starke Worte (Foto: B. Stachowske, Greenpeace)

Das klingt sehr abstrakt und allgemein.
Michael Suda:
Es muss so abstrakt sein, damit der Ansatz für möglichst viele Fälle gelten kann. Wir haben zwar vor allem öffentliche Auseinandersetzungen untersucht, in denen es darum ging, Flächen in öffentlichen Wäldern aus der Bewirtschaftung zu nehmen, aber unsere Erkenntnisse sollten nicht darauf beschränkt bleiben.

Günter Dobler:
Die Struktur ist einfach, aber wirkungsvoll. Nehmen wir den Kontrast zwischen Gesundheit und Krankheit. Alles, was Kranke gesund macht bzw. die Gesundheit erhält, ist positiv. Niemand käme auf die Idee, Ärzte oder Medikamente abzuschaffen.

Michael Suda:
Übertragen auf Walddiskurse sieht das dann so aus: Zu Anfang unserer Projektlaufzeit hat die Kampagne von Greenpeace »Schützt die alten Buchenwälder« unter Forstakteuren für Aufruhr gesorgt. Ziel der Kampagne ist es, 10 % der öffentlichen Wälder aus der Nutzung zu nehmen. Greenpeace versucht zu zeigen, dass die Bewirtschaftung der Wälder einen negativen Zustand darstellt und dass stattdessen zum Beispiel Nationalparke eingerichtet werden sollen. Die Gegenseite unterstreicht das Positive an der Bewirtschaftung der Wälder, das durch einen Nutzungsstopp bedroht ist.


Günter Dobler: Eine Erzählung ist es deswegen, weil es um verschiedene Zustände geht und um Akteure, die mit der Zustandsänderung bzw. der Zustandsbewahrung zu tun haben. Es geht um Veränderung oder die Abwehr von Veränderung. Michael Suda: Interessant ist auch, dass normalerweise ein Zustand aktuell vorhanden ist, der andere in der Zukunft liegt. Da kann man vortrefflich streiten. Niemand kann in die Zukunft reisen und nachsehen, ob es sich wirklich so verhalten wird, wie es postuliert wird.

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Zwei gezeichnete Kopfporträts von Herren untereinander.Zoombild vorhanden

Abbildung 5: Dr. Günter Dobler (oben) und Dr. Michael Suda (unten); Illustration: G. Dobler

Was muss erfüllt sein, damit das Publikum etwas als negativ oder positiv wahrnimmt? Wie macht man klar, dass ein bestimmtes Anliegen umgesetzt werden sollte?
Günter Dobler:
Das würde uns zum nächsten Modell führen. Wir haben die von uns verwendeten Konzepte in LWF aktuell und auch in anderen Zeitschriften geschildert, deswegen wollen wir das an dieser Stelle nicht mehr groß ausführen. Sagen wir es einfach so: Man muss klarmachen können, dass es gute und weithin anerkannte Gründe für ein Anliegen gibt, dass es bei Umsetzung zu positiven Effekten führt und dass dadurch ein dringender und relevanter Missstand abgewendet wird.

Der Handelnde bzw. Vertreter des Anliegens muss vertrauenswürdig, kompetent und sympathisch wirken und die anvisierten Maßnahmen müssen als die richtigen erscheinen, um das gesetzte Ziel auch erreichen zu können.

Michael Suda:
Wichtig ist, sich klarzumachen, dass das öffentliche Publikum hauptsächlich aus Laien besteht. Die haben in ihrem Alltag mit ganz anderen Problemen zu kämpfen, als sich damit zu beschäftigen, wie mit Wald richtig umgegangen werden soll: Sie werden nicht zu recherchieren beginnen, um sich ein fundiertes und wohlbegründetes Urteil zu bilden. Sie entscheiden aufgrund anderer Kriterien, wem oder was sie glauben.

Das Vorgebrachte muss zu Vorstellungen und Überzeugungen passen, die sie sich bereits gebildet haben. Das heißt, dass Vorurteile oder Stereotype eine große Rolle spielen. Greenpeace hat sich in vielen Aktionen als idealistischer Kämpfer für Natur und Umwelt gezeigt. Forstwirtschaft kann mit Vorurteilen gegenüber Wirtschaftsunternehmen verknüpft werden, wie dem, dass sie einseitig gewinnorientiert sei. Solche Stereotype werden in den öffentlichen Auseinandersetzungen durchaus benutzt.

Günter Dobler:
Die Vorstellungen über die Wirklichkeit von Laien und Fachleuten können sich ganz erheblich unterscheiden. Eine Darstellung ist dann für Laien überzeugend, wenn sie in die Laienwelt passt. Was Fachleuten richtig erscheint, spielt erst mal eine untergeordnete Rolle. Wer Alice überzeugen will, muss zu ihr ins Wunderland kommen.
Aber man vertraut doch normalerweise den Fachleuten, den Spezialisten und Wissenschaftlern?
Michael Suda:
Das Problem ist nur, dass jede Seite in der öffentlichen Auseinandersetzung ihre Spezialisten, Wissenschaftler und Fachleute hat, die ihren Diskurs stützen. Eine Orientierung daran wird immer schwieriger, ja fast unmöglich.
Sie haben sich aber nicht nur mit Erzählstrukturen beschäftigt?
Günter Dobler:
Nein, wir haben auch Einsatz von Metaphern oder die verallgemeinernde Wirkung von Beispielen untersucht. Eine Einzelhandlung oder ein konkretes örtliches Geschehen kann als Symbol für eine allgemeine Situation verwendet werden.

Michael Suda:
Selbst Aspekten wie Humor im Naturschutz haben wir uns kurz zugewandt. Oder wie die Mythenstruktur der Heldenreise einer Organisation wie dem Bund Naturschutz Identität und Kraft verleiht.

Günter Dobler:
Apropos Heldenreise. Diesen Ansatz kann man als Veranschaulichung und Orientierung für Veränderungen in Organisationen oder für waldpädagogische Veranstaltungen nutzen. Teilnehmer von Bildungsveranstaltungen und Veränderungsprozessen machen eine Heldenreise durch. Auch dazu haben wir veröffentlicht.
Nahaufnahme eines braunen Kuhkopfes mit Schrift "Mein Weg in den Tod ist die Hölle - stoppt qualvolle Tiertransporte."..

Abbildung 6: Kurze, prägnante Bildsprache (Plakat: Deutscher Tierschutzbund)

Solche Darstellungsfiguren kann man also vielseitig einsetzen. Aber noch einmal zur Überzeugungsarbeit. Es kommt also nur darauf an, etwas plausibel darzustellen und schon wird es politisch umgesetzt?
Günter Dobler:
Ich denke, viele stellen sich das folgendermaßen vor: Man gewinnt für ein bestimmtes Anliegen die Zustimmung großer Anteile der Bevölkerung. Und das ist eine Art Hebel, über den man politische Entscheider dazu bringt, das umzusetzen, was man möchte. Das funktioniert aber nur, wenn es gelingt, für ein bestimmtes Thema einen relevanten Aufruhr zu erzeugen. Für viele Themen, und dazu gehört Wald und Forstwirtschaft, entsteht nicht ausreichend Druck.

Michael Suda:
Politiker haben ja auch ihre Überzeugungen und kämpfen für bestimmte Anliegen. Sie beteiligen sich an öffentlichen Auseinandersetzungen. Sie vertreten bestimmte Diskurse. Sie sind nicht nur Objekt der Einflussnahme, sondern wollen selbst beeinflussen. Solange kein ausreichender öffentlicher Druck da ist, haben politische Entscheider einen relativ großen Handlungsspielraum. Und machen wir uns nichts vor: Der richtige Umgang mit Wald ist in gewisser Weise ein gesellschaftliches Randthema. Man kann einen neuen Nationalpark einrichten oder auch nicht – weder für das eine noch das andere gehen große Anteile der Bevölkerung auf die Straße.

Günter Dobler:
Das heißt aber nicht, dass Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit nicht nötig wäre. Wenn nur eine Seite ihre Anliegen vertreten würde, kann in den öffentlichen Medien schnell ein verzerrtes Meinungsbild entstehen. Dass sich ein relevanter öffentlicher Druck aufbaut, wird dann wahrscheinlicher. Kommunikationsarbeit für die Sache, die man vertritt, unterstützt außerdem die politischen Kräfte, die einem wohlgesonnen sind, und ist alleine deswegen schon unverzichtbar. Wer überzeugte Gegner »bekehren « möchte, nimmt sich normalerweise aber zu viel vor.

Nicht falsch verstehen, Dialog ist sinnvoll und notwendig, aber man muss sich daran gewöhnen, dass einem nicht alle zustimmen. Letztlich geht es in der Kommunikationsarbeit um die vielen, die sich noch keine festen Überzeugungen gebildet haben und die daher grundsätzlich ein offenes Ohr haben, auch wenn ihre Aufmerksamkeit im Alltag vielen anderen Dingen gehört.
Eine letzte Frage: Sind Sie mit den Projektergebnissen zufrieden?
Günter Dobler:
Es war ein spannendes Projekt. Ich möchte die Zeit, in der wir daran gearbeitet haben, nicht missen. Aber Sie sollten eher fragen, ob unsere Auftraggeber zufrieden sind. Ob wir etwas Relevantes für die Akteure in der Forstwirtschaft bzw. für diejenigen, die sich um den Wald kümmern, erarbeitet haben.

Michael Suda:
Wir haben festgestellt, dass es eine große Nachfrage nach unseren Projektergebnissen gibt. Wir waren und sind sozusagen in Deutschland mit Vorträgen und Fortbildungen auf Tour, haben außerdem sehr viel veröffentlicht, gerade auch in Medien für Praktiker. Das freut uns sehr. Wir denken, das verdankt sich auch der sich immer mehr durchsetzenden Erkenntnis, dass die Welt der öffentlichen Diskurse und der Kommunikationsarbeit von der fachlichen Welt ein gutes Stück weit abgekoppelt funktioniert und eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt. Die muss man kennen, um sich kompetenter darin bewegen zu können. Forstwirtschaft darf sich nicht nur um den Wald kümmern, sondern muss auch das Reden und Denken über den Wald berücksichtigen. Kein Arbeitsbereich kann auf Dauer ohne Rückhalt in der Gesellschaft funktionieren.

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