Ralf Petercord und Ludwig Straßer
Waldschutz der LWF - Eine gute Adresse, wenn´s "pressiert" - LWF-aktuell 112

Ob man will oder nicht, am Waldschutz kommt kein Waldbesitzer und kein Förster vorbei. Dr. Ralf Petercord und Ludwig Straßer, zwei verantwortliche Waldschützer an der LWF, erläutern, wie es um den Waldschutz im Lande bestellt ist und welche Herausforderungen in der Zukunft zu meistern sind.

Die vorliegende Ausgabe der LWF aktuell trägt die Nummer 112, eine Nummer, die als Rufnummer der Feuerwehr allgemein bekannt ist und in dieser Assoziation (über die sprichwörtliche »Giftspritze« hinaus) auch ganz gut zum »angewandten Waldschutz« passt. Wie die Feuerwehr ist auch der Waldschutz zwingend erforderlich, beides wird im Notfall gebraucht, auch wenn man sich nach Möglichkeit wenig mit diesen Notfällen beschäftigen möchte.

Diese Grundhaltung dem Waldschutz gegenüber entwickeln viele Forstleute bereits im Studium, wenn die Vielzahl der zu er­ lernenden Arten und zugehörigen Bionomieformeln nur als zusätzliche Last wahrgenommen wird. Diese Einstellung ist aber grundsätzlich falsch! Waldschutz wird eine Kernkompetenz der Forstverwaltung bleiben und den Absolventen der forstlichen Ausbildungsstätten auch weiterhin ein wichtiges und interessantes Tätigkeitsfeld bieten.

Die Forstlichen Hochschulen und Universitäten sind also gut beraten, ihre wissenschaftliche Kompetenz in diesem Fachgebiet zu erhalten und auszubauen. Leider fehlen zunehmend junge, qualifizierte Waldschützer und auch dies ist eine weitere Parallele zur Feuerwehr, denn auch diese hat bekanntermaßen Nachwuchssorgen.

Herausforderungen werden größer

Wurzel einer jungen Baumpflanze, die stark gekrümmt gewachsen istZoombild vorhanden

Abb.1: Die Pflanzenqualität muss stimmen - ansonsten sind Waldschutzprobleme vorprogrammiert. (Foto: R.Petercord)

Dabei werden die Herausforderungen an die Waldbewirtschaftung und an den Waldschutz in Folge des Klimawandels und der Globalisierung immer größer. Zukünftig wird man aufgrund der zunehmend kollabierenden, bisherigen Gleichgewichtszustände in unseren Waldökosystemen und dem Auftreten invasiver Arten mit einem höheren ökosystemaren Widerstand gegen eine geregelte Waldbewirtschaftung rechnen müssen – unsere Bewirtschaftungsziele werden schwerer zu erreichen sein.

Diese Entwicklung betrifft aber nicht nur die Forstwirtschaft, sondern auch die Gesellschaft in Bezug auf die vielfältigen Ökosystemdienstleistungen des Waldes, die dieser nicht mehr in gewohnter Weise erbringen kann. Die Anpassung unserer Wälder an die neuen Standortsbedingungen und Risiken durch den Aufbau klimastabiler Bestände mit dem Ziel des Walderhalts wird zu der prioritären Aufgabe der Forstwirtschaft werden.

Der angewandte Waldschutz ist in dieser Situation in vielerlei Hinsicht gefordert. Der Waldumbau benötigt naturgemäß Zeit und »Wald wächst am besten unter Wald«. Die zunehmend labiler werdenden Bestände können daher nicht einfach einem willkürlichen Kalamitätsgeschehen überlassen werden, sondern müssen über die Zeit gerettet werden, um dem Waldbesitz die notwendige Reaktionszeit für Anpassungsmaßnahmen zu verschaffen. Dies trifft in besonderem Maße auf junge Bestände zu.

In Bayern sind circa 1,4 Millionen Hektar Wald jünger als 80 Jahre. Diese Bestände können erst in Jahrzehnten umgebaut werden, aber deren interne Anpassungsfähigkeit muss weiterhin gefördert und erhalten werden. Der frühzeitigen Identifikation neuer Schadrisiken, die sich aus der deutlich schnelleren Anpassungsfähigkeit potenzieller Schadorganismen und durch die Einschleppung neuer invasiver Arten, aber auch durch den notwendigerweise vermehrten Anbau fremdländischer Baumarten zwangsläufig ergeben werden, und der Entwicklung zielführender phytosanitärer Gegenmaßnahmen wird damit eine Schlüsselbedeutung zu kommen.

Diagnose, Prognose und Therapie

Frau untersucht Kiefernnadeln an schütteren KiefernbüschenZoombild vorhanden

Abb.2: Aufmerksame Überwachung von Quarantäneschadorganismen (Foto: R. Petercord)

Diagnose, Prognose und Therapie sind die Kernkompetenzen des angewandten Waldschutzes. Schadorganismen müssen erkannt, ihr Schadpotenzial wissenschaftlich fundiert eingeschätzt und gegebenenfalls praxisorientierte Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Dabei ist der angewandte Waldschutz den Prinzipien des integrierten Pflanzenschutzes verpflichtet, geleitet von der Überzeugung, dass Pflanzenschutz ohne hinreichende Berücksichtigung biologischer Zusammenhänge und ökologischer Wechselwirkungen keine dauerhaften Erfolge erzielen kann.

Schadorganismen werden sich in vielfältiger Weise an die neuen Rahmenbedingungen anpassen und der Klimawandel wird ihnen zahlreiche physiologische Fenster öffnen. Arten werden ihre Verbreitungsgebiete erweitern oder verlagern, durch schnellere Generationsfolgen ihr Vermehrungspotenzial erhöhen, ihr Wirtsspektrum vergrößern und im synökologischen Kontext durch die physiologische Schwächung ihrer Wirtspflanzen und möglicher Antagonisten aggressiver auftreten.

Dabei kann es sich um altbekannte Schadorganismen handeln, aber auch um bisher unauffällig oder kommensale einheimische Arten oder auch um neue invasive Arten. Das Artspektrum wird sich in jedem Fall verändern und mit hoher Wahrscheinlichkeit die Zahl der Arten deutlich ansteigen. Damit wird sich der Arbeitsaufwand des Waldschutzes erheblich erhöhen.

    Effektive Monitoringverfahren

    Abgestorbener Wald. Im Vordergrund alte Baumstümpfe, im Hintergrund unbelaubte Bäume mit RindenschädenZoombild vorhanden

    Abb.3: Kalamitätsereignisse, die zu großflächigen Bestandeszerstörungen führen (Foto: R.Petercord)

    »Derzeit sind die Populationsmodelle, die für Insekten bestehen, nicht in der Lage, eine komplette Analyse aller durch Klimawandel verursachten Einflüsse und ihrer Auswirkungen auf Schadinsekten zu ermöglichen. Für die Forstpraxis kann deshalb nur der Ratschlag gegeben werden, am bisherigen Forstschutzwesen festzuhalten, nicht in Panik zu verfallen, jedoch auf keinen Fall das Monitoring ›schleifen‹ zu lassen« (Kropp et al. 2009).

    Diese Einschätzung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung offenbart das Dilemma, in dem sich der Waldschutz befindet – die Grundlagenforschung zu den verschiedenen Schadorganismen, die notwendig wäre, um Populations- und Risikoprognosen zu erstellen, kann von den Universitäten nicht mehr geleistet werden, in der Folge müssen mehr Schadorganismen mit personalintensiven, herkömmlichen terrestrischen Monitoringverfahren überwacht werden.

    Da jedes Lebewesen seine spezielle Lebensweise besitzt, muss für alle Schadorganismen ein eigenes artspezifisches Monitoringverfahren durchgeführt, für neue Arten möglicherweise sogar erst entwickelt sowie bestehende Verfahren laufend auf sich verändernde Rahmenbedingungen (Klimawandel) angepasst werden, um die Entwicklung der Arten möglichst sicher prognostizieren zu können. Die Entwicklung neuer Verfahren, bedarf eines hohen Forschungsinputs.

    Darüber hinaus müssen alle Verfahren die notwendige Prognosesicherheit bieten und gleichzeitig die begrenzten, verfügbaren Ressourcen nicht überfordern. Die Steigerung der Effektivität der Monitoringverfahren ist in beiderlei Hinsicht daher eine Daueraufgabe des Waldschutzes. Dabei werden selbstverständlich auch moderne Techniken der Fernerkundung und Kommunikation eingesetzt, sofern sie bereits praxistaugliche Ergebnisse liefern.

    Die Integration des Waldschutzmeldewesens in das Bayerische Waldinformationssystem (BayWIS) ist ein solcher Ansatz zur Effektivitätssteigerung. Waldschutzprobleme können insbesondere über die Funktion der Flächenmeldung erfasst, zeitnah gemeldet und analysiert werden. Eine Funktionalität, die zukünftig hoffentlich vermehrt genutzt wird.

    Invasive Arten als Herausforderung

    Laubbaumbestand, bei dem die Laubkronen durch Fraßschäden geschädigt sind.Zoombild vorhanden

    Abb.4: Großflächige Fraßschäden durch den Grünen-Eichenwickler (Foto: R.Petercord)

    Invasive Arten haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen, werden aber auch zukünftig mehr an Bedeutung gewinnen. Dabei geht es um Arten, die im globalen Welthandel über biogeographische Grenzen hinweg in zunehmend kürzerer Zeit eingeschleppt werden (Neobiota) und um Arten, die aus südlichen Regionen aus eigener Kraft einwandern.

    Beide Gruppen profitieren bei der Etablierung in unsere Waldökosysteme vom Klimawandel, der ihnen teilweise ein Überleben und einen Reproduktionserfolg in unseren Breiten ermöglicht und gleichzeitig ihre Wirtspflanzen für den erfolgreichen Befall disponiert. Aufgrund der fehlenden koevolutionären Entwicklung fehlt unseren einheimischen Wirtsarten ein physiologisches Abwehrvermögen und unseren antagonistischen Arten der Beuteschlüsselreiz, was letztlich zu einer ungebremsten Ausbreitung invasiver Arten in alle für sie nutzbaren Lebensräume führt.

    Die Auswirkungen dieser Invasion, die häufig erst nach Jahrzehnten in ihrem gesamten Umfang auf unsere einheimischen Ökosysteme erkennbar werden, sind nicht prognostizierbar. Einschleppung und Etablierung invasiver Arten zu verhindern muss daher erklärtes Ziel sein. Handelt es sich dabei um Quarantäneschadorganismen, gibt es rechtliche Bestimmungen und internationale Vereinbarungen, die dieses Ziel vor allem durch Ausrottung erster Ansiedelungen unterstützen.

    Vorsorge- und Bekämpfungsverfahren

    Auf einer Lichtung im Wald steht ein Alu-Dreibein-Gestell, das mit einem Netz bespannt ist.Zoombild vorhanden

    Abb.5: Netzpyramide um Ausbringungsverfahren für Pflanzenschutzmittel zu untersuchen. (Foto: R.Petercord)

    Der integrierte Pflanzenschutz kann nur funktionieren, wenn er in seiner gesamten Bandbreite zur Anwendung kommen kann. Dies bedingt, dass für alle relevanten Schadorganismen die notwendigen Informationen zur Verfügung stehen, um präventive oder falls notwendig auch kurative Maßnahmen rechtzeitig ergreifen zu können. In Folge des Klimawandels wird es zu nehmend schwerer werden, diese Voraussetzung zu erfüllen. Dies gilt in besonderem Maße für Waldbestände, die bedingt durch ihre langen Produktionszeiträume zahlreichen, auch neuen Risiken ausgesetzt sein werden.

    Daraus resultiert die Gefahr, dass wünschenswerte präventive Maßnahmen gegenüber kurativen Maßnahmen zurücktreten werden. Schlimmstenfalls werden »worst case«- Szenarien zunehmen, in denen bestandsbedrohende Schäden nur durch Pflanzenschutzmittelapplikationen abgewendet werden können. Untersuchungen von Kattwinkel et al. (2011) zur Beziehung zwischen der Jahresmitteltemperatur und der Anwendung von Insektiziden in Europa im Zeitraum 1990 bis 2000 zeigen, dass mit steigender Jahresmitteltemperatur der Insektizideinsatz zunimmt.

    Sollte eine solche Entwicklung eintreten, werden möglichst zielartenspezifische Pflanzenschutzmittel mit verschiedenen Wirkungsweisen und effektive Applikationsverfahren benötigt. Aktuell ist im nationalen Zulassungsgeschehen ein gegenläufiger Trend zu beobachten (siehe Beitrag: Medikamtennotstand im Wald- LWF aktuell 112). Integrierter Pflanzenschutz beginnt im Wald mit der richtigen Baumarten- bzw. Herkunftswahl, die bei unzureichender Kenntnis der zukünftigen Risiken bzw. bei ausschließlich retrospektiv abgeleiteten Risikoprognosen sehr unsicher wird.

    Dramatische Beispiele sind die aktuellen pilzlichen und bakteriellen Erkrankungen einiger Baumarten, die für die Arten teils existenzielle Bedrohungen darstellen oder zumindest deren forstliche Nutzung gefährden. Zukünftig ist mit dem Auftreten weiterer Arten mit entsprechendem Schadpotenzial und einer grundsätzlichen Verschärfung des Waldschutzrisikos zu rechnen. Gerade bei der Beratung zur Baumartenwahl muss das Waldschutzrisiko daher deutlich stärker berücksichtigt werden, um dem Vorsorgeprinzip gerecht zu werden.

    Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg

    Die aktuellen Ergebnisse der Waldschutzforschung müssen an die forstliche Praxis kommuniziert werden, ansonsten ist sie zwecklos. Diesen Anspruch zu erfüllen, ist vorrangige Aufgabe des angewandten Waldschutzes. Grundlagenorientierte und angewandte Forschung müssen zu praxistauglichen Empfehlungen transformiert werden, die über Kollegialberatung, Schulungen, Vorträgen oder diverse Veröffentlichungsmedien allen Waldbesitzern und Forstleuten zur Verfügung stehen sollen.

    Darüber hinaus muss aber auch die Gesellschaft über das Waldschutzgeschehen und mögliche Waldschutzmaßnahmen fachlich korrekt und ideologiefrei informiert werden, nur so kann die notwendige Akzeptanz und Anerkennung als Experte hergestellt werden, die es für effektive Pflanzenschutzmaßnahmen im Wald braucht. Kommunikation ist der Austausch von Informationen, wobei der Begriff »Austausch« die Gegenseitigkeit impliziert. Waldschutz lebt vom Engagement aller Beteiligten: Packen wir’s an – es pressiert!

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