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Stefan Müller-Kroehling
Fichtenwälder in Bayern und ihre Biodiversität- LWF-Wissen 80

Der Baum, der aus der Kälte kam – Natürliche Fichtenwälder

Moorfläche mit kleinwüchsigen FichtenZoombild vorhanden

Abb. 1: Hochlagenmoor mit »Krüppelfichten« im Allgäu. (Foto: S. Müller-Kroehling)

In Bezug auf ihre natürlichen Vorkommen kennzeichnet die Fichte vor allem eines: ihre Fähigkeit, Kälte zu ertragen. Hier macht ihr keine andere Baumart etwas vor. Natürliche Fichtenwälder können durch subalpine Höhenlage, ferner aber auch azonal auf kluftreichen Block-Standorten mit Kaltluft-Einfluss sowie im Bereich von Mooren (Abbildung 1) vorkommen (Rabeler 1967; Oberdorfer 1992; Härdtle et al. 2004).

Erstere beide Varianten sind dem Lebensraumtyp der Fauna- Flora- Habitat-Richtlinie (FFH-LRT) 9410 »Bodensaure Nadelwälder « (eigentlich: »Acidophilous Picea Forests«) zuzuordnen, letztere den Fichten-Moorwäldern des FFH-LRT *94D4 (* = prioritärer LRT). Gemeinsame Klammer um diese beiden Typen natürlicher Fichtenwälder ist das ausgeprägte Kälteregime, das die Fichte aufgrund ihrer besonders hohen Frostresistenz (Altenkirch et al. 2002; Müller 1991) praktisch konkurrenzlos und sie trotz des natürlicherweise nahezu reinbestandsweisen Auftretens wenig anfällig für in situ entstehende Borkenkäfer-Massenvermehrungen macht.

Natürliche Fichtenwälder Deutschlands sind auf die höchsten Lagen hoher Mittelgebirge wie Schwarzwald, Erzgebirge und Harz beschränkt und kommen in Bayern außerhalb der Alpen nur im Inneren Bayerischen Wald vor, in Höhenlagen ab ca. 1.150 bis 1.250 m ü. NN, sowie »angedeutet in Gipfellagen des Fichtelgebirges« (Walentowski et al. 2004). Sie sind außerhalb der Hochgebirge wie Alpen und Karpaten ein sehr seltener Lebensraum, der in Bayern wie in Deutschland und Mitteleuropa insgesamt nur geringe Flächen einnimmt (Bohn et al. 2003), was bei Naturschutzbetrachtungen angesichts der Allgegenwärtigkeit von Fichten in unseren Wäldern (in Form meist reiner Fichtenforsten) zum Teil übersehen wird (Müller-Kroehling et al. 2009b).
Das Gros der bayerischen Vorkommen außerhalb der Alpen liegt im Nationalpark Bayerischer Wald, ferner am Arber und am Dreisessel.
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Bedingt durch die Kälte ist die Streuzersetzung gehemmt, so dass sich Rohhumus als Auflageform ausbildet. Durch die großen Niederschlagsmengen »laugen leichtlösliche Fulvosäuren die obersten Bodenschichten stark aus«, was zu Versauerung und Tonmineralverlagerung führt (Müller 1991; Irslinger 1997). Ungünstige Auflageformen (Rohhumus oder rohhumusartiger Moder) und saure Substratbedingungen kennzeichnen daher die entsprechend auch als FFH-LRT so bezeichneten »Bodensauren Fichtenwälder«. Durch hohes Niederschlagsangebot fast dauernd feuchte, mächtige Rohhumusauflagen vermitteln als feuchtes, saures organisches Substrat zu den Torfstandorten.

Die Fichte ist eine »leidensfähige« Baumart, die manches verzeiht, wie ungünstiges Klima und arme Böden. Im Moor findet sie beides in Kombination und Kulmination. Hier kann sie sogar in unseren Breiten ihre Gebirgsheimat verlassen, und tritt auch im Flachland auf. Fichten-Moorwald kann in sehr verschiedenen Formen auftreten. Ihre Fähigkeit, extreme Kälte zu ertragen und bei hohem Wasserstand ein sehr flachstreichendes Wurzelsystem (»Wurzelteller«) zu bilden, erlauben ihr, auch nasse, sehr kalte Moorstandorte zu besiedeln. Vor allem die nassen Ränder der Hochmoore bieten der Fichte hinreichenden Lebensraum als so genannter Peitschenmoor-Fichten-Moorrandwald.

Doch auch in das Hochmoor selbst kann sie vor allem in den höheren Lagen noch auf kleinräumigen »Gunststandorten« eindringen, bleibt hier allerdings extrem gedrungen (»krüppelig«), chlorotisch und kurznadelig. Hier liegt die Waldgrenze, ja die Baumgrenze, nicht in der Höhe begründet, sondern im Moorklima und dem extremen Standort. Wenige Meter hohe Bäume auf solchen Standorten können deutlich älter als 100 Jahre alt sein (vgl. Abbildung 1). Innerhalb der Moore nimmt die Fichte speziell jene moorigen Standorte mit extremer Kälteprägung und zumindest teilweisem Mineralbodenwassereinfluss ein, sowohl in den Tallagen (hier als so genannter Aufichtenwald, Priehäußer 1952) als auch in den Hochlagen, hier als meist mehr oder weniger krüppelwüchsiges Fichtenfilz, das vielfach in einer »Kampfzone« in offenes Hochlagen- oder Quellmoor übergeht, wo die meist kurznadelige, chlorotische Kümmerform der Fichte vollständig auf Bultstandorte beschränkt ist.

Auf Tradition gebaut – wie erneuern sich Fichtenwälder?

Historische Zeichnung einer Fichte mit zitiertem TextZoombild vorhanden

Abb. 2: Verjüngung auf Moderholz nach Göppert (1868)

Natürliche Hochlagen-Fichtenwälder besitzen eine spezielle Verjüngungsökologie, die je nach Standort zu erheblichen Anteilen oder vollständig über Rannen- oder Moderholzverjüngung erfolgt (siehe LWF-Merkblatt Nr. 3 »Fichtenverjüngung in Hochlagen auf Moderholz«). Bei einer Verjüngung auf dem Boden hat die Fichte hingegen bei langen und hohen Schneelagen wesentlich größere Probleme mit Schneegleiten, Schneeschimmel-Befall, einem verjüngungshemmenden Bergreitgras-Filz oder anderer Konkurrenzvegetation.

Die Verjüngung natürlicher Fichtenwälder erfolgte in aller Regel wohl kleinflächig und im Bestandesschatten oder kleinen Auflichtungen, was man sowohl im Hochgebirge als auch in den wenigen Urwäldern Mitteleuropas (Urwald Rothwald, Urwald Kubany, Urwald-Flächen in Slowenien) beobachten kann (Reininger 2000).

Die von Chronisten dokumentierten Jahre der »Großen Wurmtrocknis« in Trockensommern und nach Orkanen, über die ab dem 15. Jahrhundert berichtet wurde, beziehen sich zeitlich bereits auf Wälder, die vom Menschen massiv überprägt waren. In der mittelalterlichen Wärmephase zwischen 1100 und 1300 wurden auch in den Mittelgebirgen die ursprünglichen Wälder in den gut zugänglichen, triftbaren Hanglagen in Nutzung genommen (Hasel 1985; Behringer 2007).
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Durch vielfältige Nutzungen und Übernutzungen (Köhlerei, Aschenbrennerei für die Glashütten, Holzbedarf der großen Städte und die lokale Bevölkerung, Waldweide) wurden sie vielfach stark aufgelichtet (Nikiforuk 2011). Auf solchen Flächen in den eher wärmebegünstigten Hanglagen, im ursprünglichen Reich von Buche und Tanne, verjüngt sich die Fichte viel problemloser und ist dort nicht auf Rannenverjüngung angewiesen.

So entstanden durch Naturverjüngung vielfach von Fichten dominierte, relativ gleichaltrige Bestände. Dass diese in Wärmejahren und nach Sturmereignissen ein »gefundenes Fressen« für Fichtenborkenkäfer waren, ist plausibel.

Sicher gab es in vielen Mittelgebirgen in früheren Zeiten aber auch noch wesentlich mehr anmoorige, quellig-nasse und blockreiche Standorte (die dann von Menschenhand vielfach stark verändert wurden, um die Bewirtschaftungsmöglichkeiten zu verbessern). Hier hatte kleinstandörtlich und teilweise sicher auch bestandsweise die Fichte schon natürlich einen höheren Anteil und trat auch führend auf. Auf »Normalstandorten« unterlag sie den schattenverträglicheren Buchen und Tannen, obwohl sie selbst ja auch eine Halbschattbaumart ist. Daher sind hier Fichten-Kalamitätsflächen auch nicht ein natürlicher Zustand.

Fichte als Mischbaumart – Erkenntnisse aus Naturwaldreservaten

Fichtenbestand mit liegendem Totoholz.Zoombild vorhanden

Abb. 3: Strukturreicher subalpiner Fichtenwald im NWR "Wettersteinwald" (Foto: S. Müller-Kroehling)

In den Naturwaldreservaten (NWR) der Buchen- und selbst der Bergmischwaldstufe, die bei der Ausweisung über Fichten-Beimischungen verfügten, vollzieht sich in den Jahren nach der Ausweisung in der Regel ein Ausfall der älteren Fichten und ein weitgehendes Fehlen in der Naturverjüngung. Hier zeigt sich, dass die Fichte im berühmten »Dreiklang« des Bergmischwaldes aus »Fichte – Tanne – Buche« eigentlich die dritte Geige zu spielen hätte, also »Buche – Tanne – Fichte«.

Wie stark das der Fall ist, belegen beispielsweise die aktuellen Verjüngungsaufnahmen (2015) aus dem NWR »Stückberg« in den relativ höchsten Lagen des Oberpfälzer Waldes (NWR gelegen auf 675 – 808 m ü. NN). Nur in 8 von 61 Probekreisen (13 %) trat Fichten-Verjüngung auf, mit einem Anteil von 1,6 % an der Verjüngung insgesamt, während die Buche mit 51 von 64 Probekreisen (80 %) und einem Anteil von 96,6 % die Verjüngung dominiert, und diesen Anteil tendenziell im weiteren Bestandsleben eher noch weiter aus bauen kann.

Auch die Tanne spielt, allerdings möglicherweise bedingt durch Verbiss und frühere Reduktion, eine derzeit insgesamt mit der Fichte vergleichbare, nur geringe Rolle im Verjüngungsgeschehen dieses Naturwaldreservats. Nicht umsonst war und ist es in den Hanglagen des ostbayerischen Grenzgebirges gängige Praxis, sich bei entsprechender Ausgangslage (angepasste Wildbestände, Vorhandensein aller Hauptbaumarten im Ausgangsbestand) um die ausreichende Verjüngung der Fichte in Mischung mit Buche und Tanne sehr aktiv kümmern zu müssen – in der Vergangenheit zum Teil sogar mit Herbiziden gegen die »Verbuchung«, heute durch mechanische Pflegeeingriffe.

Gerade in manchen Naturwaldreservaten (und Wirtschaftswäldern), in denen die Fichte gar nicht zum natürlichen Baumartenrepertoire gehört, tritt teilweise üppige Fichten-Verjüngung auf, so im NWR »Seeben« im Schwäbischen Schotterriedelland. Bekanntlich sind gerade Feinlehme häufig besonders günstige Verjüngungsflächen. Die Fichte weist in unseren Breiten also regelrecht ein »Verjüngungsparadox« auf: Dort, wo ihre natürlichen Vorkommen sind, ist sie auf spezielle Verjüngungsstrategien angewiesen, und dort, wo sie von Natur aus nur eine allenfalls stark untergeordnete Rolle einnehmen würde, verjüngt sie sich zumindest vom Standort her meist problemlos.

Der Hochlagenwald ist nicht die Tundra

Kleine Fichten wachsen auf liegendem Totholz.Zoombild vorhanden

Abb. 4: Rannenverjüngung der Fichte im Moorwald (Foto: S. Müller-Kroehling)

Die Lebensbedingungen der Fichte unserer Mittelgebirge haben viele Gemeinsamkeiten mit den Bedingungen der borealen Fichtenwälder der nordischen Tundra und skandinavischen Gebirge – aber auch wichtige Unterschiede. Die Fichtenwälder des Nordens sind zonale Gesellschaften und bedecken riesige Flächen. Zu Massenvermehrungen neigende Borkenkäferarten werden wie auch im Gebirgsareal der Fichte durch die Kälte und die kurze Vegetationsperiode in Schach gehalten, so dass sich dort unter natürlichen Verhältnissen (was auch einen fehlenden Befallsdruck aus angrenzenden Kalamitätsgebieten tieferer Lagen beinhaltet) keine großflächigen Kalamitäten aufbauen können. Eine Besonderheit der borealen Fichtenwälder normaler Standorte ist, dass sie sich häufig zyklisch erneuern, oft gesteuert durch Waldbrände.

Das trifft auf die Fichtenwälder unserer Hochlagen jedoch nicht zu. Hier erfolgt die Verjüngung im Gegenteil in der Regel im Schatten und auf dem »Moderholz« der Altbäume des Vorbestands (Abbildung 2). Ohne eine solche, funktionierende Rannenverjüngung vergreisen die Fichtenbestände des Gebirges. Die fehlende Möglichkeit zu dieser Verjüngungsform aufgrund zu geringer Mengen an Starktotholz ist die eine anthropogene Achillesferse des Berg-Fichtenwalds.

Die andere, die den Borkenkäfern immer bessere Entwicklungsbedingungen bietet, ist der Klimawandel. In den nordischen Nadelwäldern erweisen sich Waldbrände als »Jungbrunnen« für die zyklische Walderneuerung, doch wäre es ein Irrtum, dies auch auf hiesige Verhältnisse übertragen zu wollen, mit oder ohne Waldbrand. Großflächigen Zusammenbruch kennen die subalpinen, natürlichen Berg-Fichtenwälder erst, seit es die Anlage von Fichten-Reinbeständen in den Hanglagen gibt, und in jüngster Zeit verstärkt durch den Klimawandel.
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Ungleichaltrige Fichten am Moorrand.Zoombild vorhanden

Abb. 5: Auch Fichten-Moor(rand)wald kann sehr strukturreich sein und für Windruhe auf Regenerationsflächen sorgen. (Foto: S. Müller-Kroehling)

Auch in den borealen Wäldern werden durchaus nicht alle Fichten-Bewohner von Waldbränden gefördert. Einige der besonders spezialisierten Arten bewohnen nur die zyklischen Feuer überstehenden Fichten-Sumpf- und Moorwälder (Lindelöw 1990; Hörberg et al. 1998).

Die Fichte ist eine Baumart, die in Bayern natürlicherweise ausschließlich in den Mittelgebirgen und Alpen verbreitet war, und azonale Vorkommen in den Mooren aufwies, hier vor allem am Moorrand (Abbildung 5). Als Alpenschwemmling konnte sie aber auch in die Flussauen eindringen und sich hier stellenweise halten, obwohl diese das extreme Gegenteil der Standortbedingungen des Hochgebirges bieten.

Der in Anhang II der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU gelistete Frauenschuh (Cypripedius calceolus) ist eine Orchideenart, die in den Flussauen meist Standorte besiedelt, die über eine gewisse Mindestbeteiligung an Nadelbäumen verfügen, meist aus Fichte und Kiefer gleichermaßen. Als solche profitiert sie auch von den Fichten-Alpenschwemmlingen, die dem Auwald (neben Waldkiefer und Gemeinem Wacholder, v. a. auf den Brennen) eine gewisse natürliche Nadelbaumbeimischung bescheren.

Spezielle Fichtenwaldflora

Moosboden mit BärlappZoombild vorhanden

Abb. 6: Der Sprossende Bärlapp ist eine Charakterart der Fichtenwälder. (Foto: S. Müller-Kroehling)

Die Flora natürlicher Fichtenwälder wird von Arten dominiert, die Rohhumus-Standorte und Kälte vertragen können, wie Heidel- und Preiselbeere (Vaccinium myrtillus, V. vitis-idaea) und Sprossendem Bärlapp (Lycopodium annotinum). Diese eher seltene Art, die auch äußerlich in ihrer Benadelung an einen Nadelbaum erinnert (Abbildung 6), gilt als Charakterart der Klasse der Fichtenwälder (Piceetalia).

Unter den Spezialisten der Fichtenwälder gibt es nicht wenige Arten, die vor allem in den Fichten-Moorwäldern auftreten, oder aber in Gebieten mit sehr hohen Niederschlägen, so das Peitschenmoos (Bazzania trilobata) oder der Siebenstern (Trientalis europaea). Andere Arten der Fichtenwälder bevorzugen eher die blockreichen oder oberflächlich »verheideten« Varianten, wie das Moos Barbilophozia floerkei (Meinunger und Schröder 2007).

Nicht wenige der Fichtenwald-Pflanzen konnten aber dem Fichtenanbau auch in tiefere Lagen folgen, wie etwa das Riemenmoos Rythidiadelphus loreus. Hierzu zählt wohl auch das bevorzugt in luftfeuchten Wäldern auf Nadeltotholz wachsende Kobolds-Moos Buxbaumia viridis als Art des Anhanges II der FFH-Richtlinie, das vor allem saure Auflageformen in Gebieten mit Kalkgestein zu präferieren scheint (Meinunger und Schröder 2007).

Pilze in Fichtenwäldern und an Fichte

Weißer Pilz-Fruchtkörper auf Nadelstreu.Zoombild vorhanden

Abb. 7: Der Gallertige Zitterzahn kann auch in Fichtenforsten vorkommen, sofern sie über ein luftfeuchtes Bestandsklima verfügen. (Foto: M. Blaschke)

Natürliche Fichtenwälder bieten einer großen Fülle von Mykorrhiza-Pilzen einen Lebensraum. Auch für eine Vielzahl holzzersetzender, oft unscheinbarer Arten ist das Holz der Fichte ein geeignetes Wuchssubstrat und der passende Lebensraum. Fichtensteinpilz (Boletus edulis), Echter Pfifferling (Cantharellus cibarius) und Fliegenpilz (Amanita muscaria) sind wichtige »Mykorrhiza-Partner« der Fichte und helfen ihr so, unter den eher widrigen Wuchsbedingungen, Wachstum und Überleben zu sichern. Gerade in den für das Baumwachstum schwierigeren Bereichen nehmen die Mykorrhizapartner, die in der Regel der Ektomykorrhiza zugeordnet werden können, an Bedeutung daher sehr stark zu.

Der Parasol (Macrolepiota procera) ist als Streuzersetzer vor allem in Bestandslücken zu finden. In dichten Fichtenbeständen wird er in der Regel durch Safranschirmlinge wie den Gemeinen Safranschirmling (Chlorophyllum rachode) abgelöst. Die Nadelstreu der Fichten bietet auch zahlreichen Zersetzern wie dem Knoblauchsschwindling (Marasmius scorodonius) ein Auskommen.

In Fichtenwäldern können regelmäßig zahlreiche weitere typische Vertreter der Mykorrhizapilze aus den unterschiedlichen Pilzfamilien beobachtet werden, wie die weit verbreiteten Arten Maronenröhrling (Xerocomus badius) und Flockenstieliger Hexenröhrling (Neoboletus luridiformis).
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Oft wahre Massenvorkommen ihrer Fruchtkörper in Fichtenbeständen bildet der mittelgroße Rotbraune Milchling (Lactarius rufus). Der zierlichere Mohrenkopf-Milchling (Lactarius lignyotus) ist in Deutschland recht stark auf Gebiete mit natürlichen Fichtenvorkommen konzentriert und fruchtet auch meist viel spärlicher. Der Fichtenreizker (Lactarius deterrimus) begleitet die Fichte auf montanen Standorten, ist aber nicht an natürliche Fichtenwaldvorkommen gebunden, anders als der Grubige Fichten-Milchling (L. scrobiculatus), dessen Verbreitung an die natürliche Fichten-Verbreitung angelehnt ist.

Auch der Braune Ledertäubling (Russula integra) bevorzugt in seinem Verbreitungsbild Fichtenmontane Fichtenwälder, der Braune Wieseltäubling (Russula mustelina) sogar vor allem die hochmontanen Vorkommen. Die Zahl der Totholzzersetzer des Fichtenholzes dominieren »Allerweltsarten«, wie der Gemeine Violettporling (Trichaptum abietinum) an den Zweigen und der Rotrandige oder Fichtenbaumschwamm (Fomitopsis pinicola) an den Stämmen.

An Fichtenstümpfen sind verbreitet Wurzelschwamm (Hetereobasidium annosum), Fenchelporling (Gloeophyllum odoratum), Klebriger Hörnling (Calocera viscosa), an entrindeten Fichtenstämmen im fortgeschrittenen Zersetzungsstadium beispielsweise der Nadelholzhörnling (Calocera furcata) zu finden. Ebenfalls an Stöcken kann in luftfeuchten Bereichen der Gallertige Zitterzahn (Pseudohydnum gelatinosum) beobachtet werden, dessen Fruchtkörper eine »Gummibär-ähnliche« Konsistenz aufweisen (Abbildung 7).
Eine Art, die nur in Wäldern mit sehr hohen Totholzvorräten und guten Beständen des Rotrandigen Baumschwammes gefunden wurde, ist die Zitronengelbe Tramete (Antrodiella citrinella).

Tierarten in Fichtenwäldern

Eine große Zahl von Tierarten besiedelt die Fichte und lebt in von ihr aufgebauten Wäldern und Forsten. Besondere Beachtung verdienen jene Arten, die auf natürliche Fichtenvorkommen der höchsten Lagen oder ganz bestimmter Standortbedingungen beschränkt sind. Auch einige reliktär verbreitete Arten (so genannte »Urwaldrelikte« und »Eiszeitrelikte«) und andere seltene Spezies mit boreomontaner oder boreoalpiner Verbreitung gehören in letztere Gruppe (z. B. Bußler et al. 2013).

Nordische Käfer

Die Liste der xylobionten Käferarten an der Fichte in Europa umfasst um 400 Arten (Palm 1959; Ammer 1991; Bense 2002; Saalas 1923). Nur sehr wenige Arten sind monophag an Fichte gebunden, da die meisten Fichtenbesiedler auch andere Nadelhölzer als Brutbaumarten nutzen. An der Fichte sind in der West- und Zentralpaläarktis 39 verschiedene Borkenkäferarten nachgewiesen (Pfeffer 1995).

An flächigen Gradationen sind in Deutschland nur zwei Arten entscheidend beteiligt: Buchdrucker (Ips typographus) und Kupferstecher (Pityogenes chalcographus). Der Buchdrucker ist in Eurasien der bedeutendste Schädling reifer Fichtenbeständen (Grodzki et al. 2004; Wermelinger 2004). In der gesamten nördlichen Hemisphäre wird in Folge des Klimawandels eine Zunahme der Borkenkäfergradationen beobachtet (Schelhaas 2003).

In Fichtenwäldern leben auch unter den Borkenkäfern seltene Spezialisten. An standortheimische Fichtenwälder gebunden sind der bisher wenig beachtete Nutzholzborkenkäfer Xyloterus (Trypodendron) laeve (Bußler und Schmidt 2008) und der Nordische Fichtenborkenkäfer Dryocoetes hectographus. Auch die Familien der Bock-, Schnell- und Schimmelkäfer enthalten einige sehr seltene und spezialisierte Arten.

Die reliktär verbreiteten Totholzkäfer kommen vor allem im Alpenraum und dem Bayerischen Wald vor, während die Artenzahl aus dieser exklusiven Gruppe im Fichtelgebirge mit seinem sehr beschränkten natürlichen Fichtenvorkommen entsprechend deutlich reduziert ist. Zu den Arten ursprünglicher Fichtenwälder gehört als Art der FFH-Richtlinie der Gestreifte Bergwaldbohrkäfer (Stephanopachys substriatus).

Übrige Insekten und Wirbellose

Auch mehrere Käferarten, die sich nicht in Totholz entwickeln, sind bevorzugt in Fichtenwäldern zu finden. Als Beispiel kann der koprophage, also konkret in Schalenwild-Kot sich entwickelnde Blatthornkäfer Aphodius piceus erwähnt werden. Dieser lebt in der »locker bestandenen Fichten-Krüppelzone der Bergkuppe und auf kleinen, mit Zwergsträuchern bestandenen Lichtungen«, ist dabei aber gleichwohl eine reine »Art der Wälder« (Rößner 2012). Es ist aufgrund seiner Bindung an Kälte das Beispiel einer Art, die an natürliche Fichtenwälder gebunden ist.

Auch unter den übrigen Wirbellosen gibt es natürlich eine nicht geringe Zahl von Spezialisten der Fichte. Vor allem jene Arten, die sich an frischen Nadeln oder Früchten entwickeln, sind vielfach relativ stark spezialisiert. Zwei sehr bekannte Arten sind die Fichtengallenläuse der Gattung Sacchiphantes, die auffällige Zweiggallen wie die »Ananasgallen« erzeugen. Obwohl die Grüne Fichtengallenlaus (Sacchiphantes viridis) dabei anders als die Ananas-Gallenlaus (S. abietis) als Nebenwirt die ebenfalls bei uns rein alpine Gattung der Lärchen (Larix) benötigt, ist es doch ein Beispiel für die Gruppe heimischer Spezialisten im Tierreich, die der Fichte in ihre Anbauflächen in tieferen Lagen folgen konnten.

Allein die Zahl der Bewohner von Fichtenzapfen und Fichtensamen umfasst mehrere Dutzend Arten, darunter unter anderem Käfer, Wanzen, Schmetterlinge, und Gallmücken. Manche nutzen die Zapfen als Nahrung, andere Teile des Zapfens als Entwicklungshabitat oder als spezielles Winterquartier (Holste 1922).
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Immerhin 23 phytophage Wanzenarten leben an der Fichte, 15 davon bevorzugen sie deutlich. Drei dieser Arten, alle aus der Gattung Psallus, sind mehr oder weniger an das natürliche Verbreitungsgebiet der Fichte gebunden. Psallus lapponicus ist eine boreomontan in den süddeutschen Gebirgen und höheren Mittelgebirgen verbreitete, rein europäische Art (Wachmann et al. 2004).

Unter den Zikaden gibt es nur wenige Arten, die an Fichten vorkommen, und die meisten davon sind monophag an Picea abies gebunden (Nickel 2008). Offenbar erfordert es große Anpassungen für diese Artengruppe, sich die Nadelbäume als Nahrungsressource zu erschließen. Zugleich kommen die meisten dieser Arten aber auch außerhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets der Fichte vor. Eine gewisse Ausnahme ist die Fichten-Glasflügelzikade (Cixius beieri), die vor allem in montanen Fichtenwäldern vorkommt und als gefährdet gilt. Auch sie ist aber nicht ausschließlich an das natürliche Verbreitungsgebiet der Fichte gebunden, sondern kommt beispielsweise auch in der Rhön und der Eifel vor.

Auch unter den Pflanzenwespen gibt es nicht nur einige Schädlinge, sondern auch seltene Spezialisten natürlicher Fichtenwälder.

Bodenfauna

Großer braun-schwarzer Käfer auf Rindenstück.Zoombild vorhanden

Abb. 8: Der Harz-Großlaufkäfer (Carabus linnei) liebt in manchen Teilen Bayerns montane Fichtenforste
besonders. (Foto: F. Ruggiero)

Am Anfang der Bodenfauna sollen hier vor allem die besonders gut untersuchten Laufkäfer (Carabidae) betrachtet werden (Abbildung 8). Natürliche Fichtenwälder weisen eine Bodenfauna auf, die an Kälte und dadurch gehemmte Streuzersetzung und somit an saure Moderauflagen, ja in höheren Lagen sogar an Rohhumus, angepasst sind. Manche der spezialisierten Fichtenwald-Arten kommen dabei sowohl auf nassem Rohhumus als auch in den Fichten-Moorwäldern vor.

Es gibt aber auch ganz ausgeprägte Fichten-Moorwald-Spezialisten, wie den boreoalpin verbreiteten Patrobus assimilis (Rabeler 1967; Platen 1994), der ausschließlich den dauerkalten Hochlagen-Fichten- Krüppelwald der Moorwald-Kampfzone besiedelt (Müller-Kroehling 2015).

Als zweite Gruppe gibt es auch Spezialisten blockreicher Fichtenwälder. Viele der Bodenbewohner »ertragen« die Standortverhältnisse in Fichtenforsten, finden aber in naturnäheren Misch- und Laubwäldern meist bessere Lebensbedingungen.

Es gibt aber durchaus auch Arten, für die Fichtenforste mit ihren Moderauflagen und ihrer sauren Streu offenbar einen besonders geeigneten Lebensraum darstellen. Durchaus artenreich können auch junge Entwicklungsphasen von Fichtenforsten und Kahlschlagsflächen sein (Lauterbach 1964; Geiler 1974).
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Neben den räuberischen Laufkäfern, die sich als Larven im Oberboden entwickeln, besteht die Bodenfauna aus sehr vielfältigen weiteren Artengruppen. Diese winzigen Arten machen zusammengerechnet einen viel größeren Anteil an der lebenden Biomasse des Waldes aus als die Wirbeltiere, werden aber wegen ihrer geringen Größe und versteckten Lebensweise wenig beachtet.

Beispielsweise weist auch die Bodenmesofauna eine sehr große Artenvielfalt auf, darunter auch Spezialisten und Arten mit weltweit kleinem Verbreitungsgebiet, für die wir folglich eine hohe Schutzverantwortung haben.

So kommt die Raubmilbe Zerconella leitnerae in Nadelwäldern des Alpengebiets vor (Karg 1994). Über diese Arten wissen wir viel zu wenig. Ein Grund ist sicher auch, dass wir uns in der Forschung viel zu sehr auf »vorzeigbare Flaggschiffarten« (v. a. große, attraktive Wirbeltiere) konzentrieren, auch wenn die Biodiversitätskonvention dies keineswegs so vorsieht.

Wirbeltiere

Schwarz-weißer Vogel mit Nahrung im Schnabel hockt vor der Höhle an einem Nadelbaum.Zoombild vorhanden

Abb. 9: Der Dreizehenspecht braucht höhere Totholzmengen, als wir ihm im Wirtschaftswald bieten können.
(Foto: H.-J. Fünfstück, www.5erls-naturfotos.de)

Vögel sind besonders beliebte Zielarten im Waldnaturschutz. Ihre Auswahl sollte jedoch gerade auch im Kontext der Baumart Fichte gut überlegt und gut begründet werden. Die Fichtenwälder der Hochlagen verfügen mit dem Auerhuhn über einen »Wappenvogel«, der einen hohen Stellenwert im Naturschutz genießt. Dabei ist es als Leitart durchaus nicht unkritisch zu sehen: Es profitierte von Nadelforstwirtschaft mit Streunutzung und verheideten Wäldern, von Kahlschlägen und sogar vom Waldsterben (Klaus 1994).

Naturnahe Baumartenzusammensetzung und Waldumbau sind für das Auerhuhn hingegen auf den meisten Waldstandorten gerade nicht förderlich. Es braucht zuallererst heidelbeerreiche Wälder, die es außerhalb der natürlichen, subalpinen Fichtenwaldstufe vor allem in lichten Nadelforsten findet (Höcke et al. 2016).

Der Dreizehenspecht (Picoides tridactylus) ist ebenfalls ursprünglich ein Spezialist der Hochlagen-Fichtenwälder (Abbildung 9). Er ist zum Nahrungserwerb auf »Käferbäume« angewiesen, wo er Larven von Borken- und Bockkäfern und anderen xylobionten Arten als Nahrung findet. Deshalb ist er an Nadelwälder mit sehr hohen Totholzmengen gebunden. Zumindest in Teilbereichen benötigt er Kernflächen mit einem Schwellenwert von 60 – 70 fm Totholz pro Hektar (Bütler und Schlaepfer 2004). Die Art kommt daher regelmäßig nur im Hochgebirge, in den Hochlagen des Bayerischen Waldes und mit wenigen Brutpaaren im Fichtelgebirge vor, wo es solche Bestände teilweise gibt.
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Eine regelrechte Charakterart der Hochlagen-Fichtenwälder ist die Ringdrossel (Turdus torquatus). Sie ist also auf natürliche Hochlagen-Fichtenwälder als Lebensraum beschränkt, was auch ihre Verbreitung in Bayern deutlich widerspiegelt (Bezzel et al. 2005). Den Winter verbringt der hübsche und durchaus seltene Vogel mit weltweit relativ begrenzter Verbreitung als Zugvogel südlich der Alpen. Weitere Fichtenwaldbewohner wie Wintergoldhähnchen (Regulus regulus), Tannenmeise (Parus ater) und Fichtenkreuzschnabel (Loxia curvirostra) haben sich auch die Fichtenforste der tieferen Lagen als Lebensraum erschlossen.

Auch der Tannenhäher (Nucifraga caryocatactes) kann im Winter gelegentlich in Fichtenforsten beobachtet werden. Bei herbstlichem Nahrungsengpass kommt es zuweilen sogar zu Einflügen der russischen Unterart (N.c. macrorhynchos), die an ihren schmaleren Schnäbeln zu erkennen sind. Das Wintergoldhähnchen besiedelt Bayern dank des Fichtenanbaus fast flächendeckend. Es ist sehr stark abhängig vom Vorkommen der Fichte, in deren Kammästen sie fast ausschließlich ihre Nester baut (Bezzel et al. 2005).

Es waren also durchaus einige hochspezialisierte Fichtenbewohner auch in der Lage, den Fichtenanbau fast im ganzen Land als Lebensraum-Erweiterung zu nutzen. Auch der Schwarzstorch (Ciconia nigra) hat sein bestes Vorkommen in ganz Deutschland (LBV und BaySF 2010, unveröff.) ausgerechnet in dem Wuchsgebiet Bayerns mit dem höchsten Fichten-Anteil, dem Frankenwald. Und auch im Voralpengebiet tritt er regelmäßig in extensiv genutzten Fichtenbestockungen früher entwässerter Moore auf (Kaule und Peringer 2015). Auch unter den Eulen gibt es Nadelwald-Spezialisten.

Raufußkauz und Sperlingskauz benötigen alte, strukturreiche Nadel(misch)bestände mit ausreichendem Höhlenangebot und kommen ebenfalls auch in entsprechenden Wäldern außerhalb der natürlichen Fichtenverbreitung vor. Beide Eulen-Arten haben also zumindest in Teilen Bayerns auch vom Nadelholz-Anbau profitieren können. Und auch der Habichtskauz (Strix uralensis), der in Bayern sogar bereits ausgestorben war, ist kein reiner »Urwaldvogel«. Ausgestorben war er vielmehr vermutlich sogar gerade wegen der Abkehr vom Kahlschlag, denn er benötigt Jagdhabitate auf Grünland oder Lichtungen im räumlichen Verbund mit dem Waldhabitat (Bezzel et al. 2005).

Allen in Fichtenwäldern auftretenden Spezialisten unter den Vögeln ist gemeinsam, dass sie sowohl in den borealen Nadelwäldern als auch den Gebirgen und hohen Mittelgebirgen Mitteleuropas vorkommen, also boreomontan verbreitet sind. Einige, aber nicht alle der spezialisierten Fichtenwald-Arten haben zudem wie dargestellt den Nadelholzanbau zu einer substanziellen Habitaterweiterung nutzen können.

Unter den spezialisierten Säugetieren der Fichtenwälder ist an erster Stelle die Nordfledermaus (Eptesicus nilssoni) als Art zu nennen, deren Verbreitung in Bayern (Meschede und Rudolph 2004) weitgehend an die natürliche Verbreitung der Fichte gebunden ist, zumindest, was die Fortpflanzungsgebiete betrifft. Einen deutlichen Schwerpunkt der Nachweise bildet dabei das ostbayerische Grenzgebirge. Auch die bevorzugten Jagdgebiete liegen in ausgedehnten Wäldern, doch jagt die Art auch gern unter Straßenlaternen.

Ihre Wochenstuben und Versteckplätze sucht sie eigentlich ursprünglich wohl in Spaltenquartieren an Bäumen, wie sie etwa abblätternde Rinde toter Bäume bieten kann. In Mitteleuropa ist sie jedoch offenbar weitgehend vollständig auf Spaltenquartiere an Häusern umgestiegen. Trotz ihrer nordischen Verbreitung und Bevorzugung der kälteren, ursprünglichen Fichtenregionen meidet sie also die Nähe des Menschen nicht (Meschede und Rudolph 2004).

Als Beispiel für die Fledermausfauna der Fichtenforste kann das Große Mausohr (Myotis myotis) dienen. Es jagt bevorzugt in unterwuchsarmen Wäldern, da es seine Beute, bodenbewohnende, größere Käfer, hier vom Boden abliest. Man findet es sehr regelmäßig in schattigen und durchaus strukturarmen Wäldern und Forsten wie Buchen-Hallenwäldern oder Fichten-Altersklassenbeständen (Güttinger 1997). Beide Typen liefern auch absolut vergleichbare »Aktivitäts- Biomassen« der größeren Laufkäfer als jene Nahrungstiere, die von der Größe her ihrem bevorzugten Beute-Spektrum entsprechen (Müller-Kroehling, unveröff. Auswertung).

In Gebieten, wo die Wälder zu reich strukturiert und vegetationsreich in der Bodenschicht sind, weicht das Große Mausohr notfalls sogar auf kurzrasiges Vielschnitt-Grünland als Jagdhabitat aus, das eine ähnlich monotone Vegetationsstruktur aufweist. Sie ist also trotz FFH-Status alles andere als eine »Naturnähe-Zeigerin« (Müller-Kroehling 2006), aber eine Art, die zeigt, dass auch Fichtenforste nicht so lebensfeindlich sind, wie sie für viele Betrachter aussehen.

Fichtenforste und Biodiversität

Dies leitet zur Fragen des »Naturschutzwerts« von Fichtenforsten über. Diese »Holzacker« sind oft schon rein optisch klassische Monokulturen: Fichten stehen in »Reih und Glied«, eine Bodenvegetation ist in den mittleren Bestandsaltern fast nicht existent. Und dennoch kommen auch in Fichtenforsten heimische Arten vor, und manche davon »lieben« diesen Lebensraum regelrecht.

Es sind Arten, die saure Standortbedingungen, Moder-Humusformen und die darin lebende Zersetzergemeinschaft als Nahrungstiere bevorzugen, wie gebietsweise die Laufkäfer Carabus hortensis oder Pterostichus unctulatus (Müller-Kroehling 2015). Beide Arten sind reine Europäer mit relativ hoher Schutzverantwortung unsererseits. Auch der Goldene Berglaufkäfer (Carabus auronitens) wird in Kalkgebieten offenbar durch den Nadelforstanbau gefördert (z.B. Roth 1984), da er säurepräferent ist (Müller-Kroehling 2015).

Die Zusammensetzung der Bodenfauna in Fichtenforsten ist gegenüber Laubwäldern verändert, aber keineswegs individuen- oder biomassearm (Thiede 1977). Untersuchungen zur Laufkäfer-Fauna in Fichtenforsten des Frankenwaldes (Teilflächen mit reiner Fichte in Naturwaldreservaten, Waldklimastation Rothenkirchen; s. Förster 1986a und Müller-Kroehling 2007) zeigen das ganze Spektrum der Bewertung auf:
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Einerseits gibt es dort einige Arten, die Fichtenforste deutlich bevorzugen, oder sogar nur dort vorkommen, darunter auch Arten, die sonst nur in montanen Fichtenwäldern vorkommen, wie der Großlaufkäfer Carabus sylvestris. Andererseits fällt im Fichtenforst der Waldklimastation Rothenkirchen sogar die bayernweit häufigste Wald-Laufkäfer-Art (Abax parallelepipedus) aus, die sonst in praktisch keinem Buchenwald oder selbst Nadelforst fehlt. Ursache dürfte sein, dass durch die versauernde Wirkung der Nadelstreu der pH-Wert so stark abgesunken ist (auf unter 3,6), dass tiefgrabende Regenwürmer in diesen Waldflächen nicht mehr vorkommen können, die für diesen Laufkäfer einen wichtigen Nahrungsbestandteil darstellen.

Dieser Ausfall der wichtigsten tierischen Bodendurchwurzler erzeugt dann einen Teufelskreis, in dem die Fichte noch flachgründiger wurzelt und der Boden immer weiter versauert und verarmt. Auch Kahlschläge und Kalamitätsflächen in Fichtenforsten, wie sie beispielsweise nach Borkenkäfer-Kalamitäten auftreten können, oder als sehr einfache Nutzungsform, sind ein durchaus artenreicher Lebensraum, in dem zum Teil auch seltene und als gefährdet eingestufte Arten auftreten können (z.B. Geiler 1974; Lauterbach 1964; Huber und Baumgarten 2005; Baguette und Gerard 1993). Fichtenforst-Kahlflächen, sowohl solche auf Kahlhieben als auch in »Prozessschutz«-Gebieten, haben jedoch ungünstige Auswirkungen auf Boden und Trinkwasser, und beide sind in ihrer Entstehung Fehlentwicklungen. Die Arten, die dort vorkommen, haben auch auf anderen Standorten und in anderen Lebensräumen geeignete Vorkommensmöglichkeiten.

Auch die Kronen heimischer Fichtenforste (Herbig 2006) können Lebensraum sonst selten gefundener Arten sein. Nadelforstbestände sind also, wie uns diese Standort-Zeigerarten klarmachen, auch Lebensräume, aber sie verändern eben die Artenzusammensetzung. Es gibt Arten, die Nadelforste weitgehend meiden und nur in den naturnah bestockten Laubwäldern auftreten (z. B. Rizun 2000; Steinweger 2004). Diese kann man zutreffend als »Laubwaldarten« bezeichnen. Nicht wenige dieser Laubwaldarten sind reine Europäer. Wir haben für sie eine entsprechend hohe Schutzverantwortung.

Der Grundsatz sollte daher wo immer möglich lauten: »Laubwald bleibt Laubwald«. Zu einer »Anreicherung« der Wälder durch Nadelholz-Anbau in Laubwäldern besteht aus Sicht der biologischen Vielfalt keinerlei Anlass. Andererseits konnten nicht wenige Fichten-Spezialisten dem Fichtenanbau folgen, selbst in seinen schlimmsten »Auswüchsen« in Form nicht-bodenpfleglicher, kalamitätsanfälliger, auf reine Optimierung wirtschaftlicher Ziele ausgerichteter Altersklassen-Reinbestände.

Sind vorhandene Fichten-Altersklassenwälder und Fichtenreinbestände deswegen wertvolle Lebensräume? Für manche Arten und regional möglicherweise schon. Wenn die an Fichte gebundene Glasflügel- Zikade Cixius beieri auch in der natürlicherweise fichtenfreien Rhön an Fichten lebt, stellt sich die Frage, ob dort wirklich jede Fichte »weg muss«. Wäre das so, verschwände auch diese Zikade von dort und weitere Arten, die in Fichtenbestockungen und an Fichte leben. Zumindest zwingend ist der Schritt nicht, denn die Rede ist von heimischen und auch zum Teil gefährdeten Arten.

Reine Fichtenforste sind auf vielen Standorten (nicht nur im Klimawandel) auf Dauer keine tragfähige Nutzungsform, da sie die Standorteigenschaften nachteilig verändern. Dennoch ist es sinnvoll, Fichtenforste nicht »in Bausch und Bogen« zu verdammen und sie »mit Stumpf und Stiel ausrotten« zu wollen. Auch sie sind Teil unserer Landschaftsvielfalt und des Erbes unserer »Kulturlandschaft«. Um einer verbreiteten Fehldeutung zu widersprechen, sei auch klar darauf hingewiesen, dass einerseits viele Fichtenbestände aus einem fehlgeleiteten, da einseitigen Gewinn maximierungsstreben heraus entstanden sind, viele aber auch aus der Not geborene Produkte ihrer Zeit waren (Reparationshiebe, Aufforstung devastierter Flächen mit einer »unproblematischen« Baumart, oder das, was von gepflanzten Mischbeständen übrig blieb).

Fichtenwälder und ihre Lebewelt im Klimawandel

Die Fichte, wie auch ihre Spezialisten, benötigen kalte Winter, die außerhalb der Alpen nur in Mittelgebirgen oder extrazonalen, kalten Sonderstandorten wie Moorwäldern und im Bereich von Blockhalden auftreten. Die prognostizierten milderen Winter im Zuge des Klimawandels gefährden unsere Fichtenwald-Arten (Solbreck et al. 1993; Somme et al. 1993). Ganz besonders werden die boreomontanen Reliktarten in den Alpen und in den Mittelgebirgen betroffen sein (Müller-Kroehling und Jantsch 2015; Pizzolotto et al. 2014).

Bereits in der Vergangenheit gab es Warmzeiten, in denen diese Arten stellenweise »nach oben ausweichen« mussten, und weswegen sie in manchen Mittelgebirgen heute fehlen, die momentan eigentlich (noch) günstige Bedingungen für sie bieten würden. Ihnen möglichst intakte Standorte (Kälte- und Nässestandorte, Waldinnenklima) zu bieten, ist der beste Beitrag für ihren Erhalt, den wir beisteuern können: also der Erhalt des Lokalklimas, wenn denn schon das Globalklima starken Änderungen und Schwankungen unterworfen ist.

Wenn wir eines im Klimawandel in unserer zerschnittenen Landschaft ganz dringlich brauchen, sind es Ausbreitungskorridore für die Arten und deren nötigen, der Anpassung an das ändernde Klima dienenden Wanderungen (Coope 1995). Fichtenforste können bekanntlich und unerwünscht als »Querriegel« in offenen Tälern auch als Barrieren für die Ausbreitung von Arten wirken (Licht 1993). Gleichzeitig sind selbst Fichtenforste aber auch Wanderkorridore für Waldarten. Ihre Streu ist zwar oberflächlich trocken und sauer, aber dennoch sind viele Waldarten durchaus in der Lage, sie zu durchwandern.

Fichtenwald – quo vadis?

Der Schutz der Arten, die in Mitteleuropa in Fichtenwäldern und an der Fichte leben, ist noch lange nicht zu Ende gedacht, sondern fokussiert viel zu sehr auf den zwei Extrem-Strategien »reiner Wirtschaftswald« (vermeintlich ohne Naturschutz-Wert) und »Prozessschutzwald « (als vermeintliche Idealvariante). Die hier vorgestellten Beispiele illustrieren, dass auch Fichtenforste keine »ökologischen Wüsten« sein müssen.

Fichtenforste auf »alten Waldstandorten«, die also nie gerodet und als andere Nutzungsform genutzt waren, können durchaus die Heimat von Arten »alter Wälder« sein. Manche säurepräferenten oder Magerkeit-liebenden Arten haben in lichten Nadelforsten oder auf dortigen Lichtungsflächen regional ihre letzten Vorkommen erhalten können. Das heißt nicht, dass wir diese Waldformen heute anstreben müssen, aber dennoch dürfen wir ihnen dort, wo wir sie aus der Historie heraus haben, die nötige Beachtung schenken.

Dreizehenspecht und Zitronengelbe Tramete zeigen, dass wir für den Erhalt der Biodiversität auch Fichtenbestände mit hohen Totholzmengen benötigen. Gleichzeitig gibt es auch ein »Zuviel« des Prozessschutzes, wenn nicht natürliche Fichtenwälder mit einbezogen werden und angrenzende Hochlagenwälder in den Sog einer Kalamität geraten.

Für eine Bilanzierung der mutmaßlichen »Erfolge« eines Zusammenbruchs Fichten-überprägter Bestände im Bergmischwald wie im Hochlagenwald wäre ein umfassender Vergleich mit Kahlflächen im Wirtschaftswald, mit kleinflächig bewirtschafteten Fichten-Wirtschaftswäldern der montanen Zone und mit intakten Fichten-Hochlagenbeständen notwendig (vgl. z. B. Hjälten et al. 2012).

Zusammenfassung

Natürliche Fichtenwälder sind in Bayern auf höchste Lagen der Gebirge oder anderweitig durch Kälte geprägte Sonderstandorte beschränkt. Sie sind ein seltener und unter anderem durch den Klimawandel gefährdeter Lebensraum. Zahlreiche Spezialisten aus dem Tier- und Pflanzenreich und der Gruppe der Pilze sind auf natürliche Vorkommen dieses Lebensraumes beschränkt.

Viele Arten, auch solche mit Naturschutzrelevanz, konnten auch den Anbau der Fichte zur Erweiterung ihres Lebensraumes nutzen, zulasten allerdings von Laubwald-Arten. Für den Erhalt der Biodiversität der Fichtenwälder bedarf es spezieller Anstrengungen und ausgewogener Konzepte, die vor allem einen effektiven Biotopverbund beinhalten.

Literatur

Aus anderen Rubriken

Bodensaure Fichtenwälder (LRT 9410) im FFH-Bericht nach Artikel 17

Alle sechs Jahre ist nach Artikel 17 der FFH-Richtlinie EU-weit an die EU-Kommission zu berichten, in welchem Erhaltungszustand sich die Schutzobjekte der FFH-Anhänge befinden (FFH-Berichtspflicht). In der »Alpinen biogeographischen Region« standen für Bayern und somit auch Deutschland für den Bodensauren Fichtenwald (LRT 9410) wie auch den Moorwald (LRT *94D0) beim letzten Bericht (2013) alle Merkmale (Verbreitung, Fläche, Strukturen, Zukunftsaussichten) auf »grün« und waren mithin »günstig« ausgeprägt. Kritischer und kleiner ist das Vorkommen in der »Kontinentalen Region«, mit in Bayern ca. 5.000 ha, besonders aufgrund des Klimawandels (Merkmal »Zukunftsaussichten«). Der Fichten-Moorwald als spezieller Subtyp (*91D4) scheint im FFH-Bericht nicht eigens auf.

Quelle des Berichts: ETC (2013); ein Sternchen bei der LRT-Nummer kennzeichnet prioritäre LRTen.

Siehe auch - FFH-Monitoring der Wald-Lebensraumtypen in Bayern: Mehr

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